Theater

Es dut net. Aber – wenn des jetzt dät, wie dät des do?

In Susanne Hinkelbeins Stück „Die Windmüller“ doktern zwei Windkraftanlagentechniker so hilflos wie allmächtig in 100 Metern Höhe an „Maruschka“ herum – bis zum bitteren Ende und zur großen Freude des Publikums.

21.01.2017

Von Peter Ertle

„Abnutzung. Überhitzung. Wicklungsschäda. Exzentrizität von Zahnräder, Brüch von Zähne. Ermüdung an Wälzkörpern. Do isch so einiges möglich. Im Prinzip funktionierat die älle gleich. Doppelt gspeister Asynchrongenerator. Was immer des hoißt. Vielleicht sollt mer mal neigucka.“ Links Franz Ott, rechts Berthold Biesinger.Bild: Lindenhof

„Abnutzung. Überhitzung. Wicklungsschäda. Exzentrizität von Zahnräder, Brüch von Zähne. Ermüdung an Wälzkörpern. Do isch so einiges möglich. Im Prinzip funktionierat die älle gleich. Doppelt gspeister Asynchrongenerator. Was immer des hoißt. Vielleicht sollt mer mal neigucka.“ Links Franz Ott, rechts Berthold Biesinger.Bild: Lindenhof

Ein auch nur annähernd vergleichbares Bühnenbild ward bislang nicht gesehen: Wir blicken ins Innere eines Windrads in 100 Meter Höhe, es könnte genausogut eine Raumkapsel sein oder ein U-Boot, zum Zuschauer hin sichtdienlich gläsern. Und spätestens wenn die Bodenklappe zufällt und die beiden Techniker in der Falle sitzen, entsteht ein Tiergarteneffekt: Die da können nicht raus. Und wir da schauen ihnen zu.

Die da haben noch dazu einen Auftrag: Sie sollen das defekte Windrad reparieren. Blöderweise ging der Auftrag zweimal raus, an zwei Techniker verschiedener Firmen. Sie haben nur eines gemeinsam: Sie sind Schwaben. Und haben es nun mit einem Windrad polnischen Fabrikats zu tun, mit einer auf polnisch geschriebenen Betriebsanleitung. Und da das Handy dort erstens keinen Empfang hat und zweitens - doppelt hält besser - im Getümmel des erwartbaren Konkurrenzkampfs 100 Meter nach unten fällt, fehlt nun ein Kommunikationsmittel zur Außenwelt.

Noch bevor es so weit ist, haben uns die beiden Schauspieler in langen Minuten mit wenig Text auf ihre Figuren und das Tempo des kommenden Stücks eingeschworen – das sie im Verlauf immer wieder mal kurz ankurbeln. Susanne Hinkelbein ist ja Musikerin und hat Gespür für Tempi. Regisseur Siegfried Bühr lässt sich zu Beginn auch die Zeit, füllt Minuten, in denen erst der eine, dann der andere Techniker im Windrad erscheint, Minuten, in denen die Art und Weise, wie einer seine Jacke auszieht und zusammenlegt, ängstlich um sich blickt und sich in Form eines angedeuteten, ungelenken slow motion Slapsticks um die Geräte drückt, völlig ausreichen.

In diesem besonderen Fall kommt erschwerend hinzu, dass der eine Höhenangst hat und der andere Platzangst. Der eine alles „psychologisch“ regeln will, der andere eher technisch. Der eine ein via Fernkurs umgeschulter Bauer ist, der andere – na, die Aussichten jedenfalls sind alles andere als rosig. Der eine kann kaum was, der andere wenig. Und tatsächlich können sie am Ende: Alles. Außer Polnisch. Franz Ott als großtönendes Gscheiderle mit nix dahinter, Berthold Biesinger als armes Würstchen – beide Schauspieler glänzend aufgelegt.

Maruschka, die Windsbraut

Klar ist: „Es dut net.“ Nicht klar ist: „Wenn des jetzt dät, wie dät des do“? Klar ist: „Wenn des Rädle do dät und zwar so rum, no dät des Rädle au. Aber anderschrum.“

Aber halt nur, wenn des Rädle au dät.

Und dann? „No dät der Belastungsschalter kippa, was direkt auf d’ Inflation gehen müsst, bis zu der entsprechenda Grenzlascht. Daraufhin dät sich über die Wirbelströme der Druck auf die Bandscheibe erhöha, und deshalb infolgedessen bis zur Beitragsbemessungsgrenze steiga, was den Gleichrichter aktiviera dürft.“

So doktern sie herum. Dass die Maschine dabei eher ein weibliches Wesen ist, liegt bei zwei heftig um sie werbenden Technikermännchen nahe. Hörbar beseelt ist sie, ein Geist, eine Windsbraut, kleine Brösel eines Glucksens, Singens und Windblasens, vernimmt man schon früh. Im Verlauf eines ersten dramatischen Höhepunkts, in dem die beiden Techniker wie Ärzte im akzelerierten Schaffensrausch operieren, wird ihre sich anbahnende Reanimation ebenfalls hörbar. Statt nach Tupfer, Skalpell und Schere wird hier hektisch nach Anschlageisen, Bauchzange, Handramme, Lochbeitel, Nippelspanner, Stechbeitel, Schraubzwinge und Sackbohrer gerufen.

Und da im technischtheoretischen Trockenkurskauderwelsch der beiden vorab – wie zitiert – bereits Termini der Medizin, der Wirtschaftswissenschaften und des Maschinenbaus sich unentwirrbar gegenseitig durchdrangen, wird schnell klar: Dieses Windrad steht für mehr. Zwar ist es irgendwo immer noch dieser Klappstuhl, mit dem der Clown hilflos hantiert, um am Ende selbst miteingeklappt zu werden. Doch dann ist es auch wieder die ganze, aus den Fugen geratene Welt. Konsequenterweise macht, nach dem die OP zwischenzeitlich in einem Exitus endet, der eine den anderen nicht nur für das niederschmetternden Ergebnis der Reparatur sondern gleich für alle Übel der Welt verantwortlich, von der Kimaerwärmung bis zum Syrienkrieg. Was da noch wie ein Gag klingt, bekommt wenig später eine so absurd-philosophische wie ernstgemeinte Dimension. Die sehr modern auf Spracheingabe reagierende Windkraftmaschine sorgt nämlich bei den paar aus der Erinnerung oder der Bedienungsanleitung zusammengekratzten polnischen Brocken für erstaunliche Phänomene: Für Blitz und Donner, Maschinengewehrsalven oder Wind.

Ja, Wind: Nicht der Wind lässt hier das Windrad laufen, sondern, umgekehrt, das nun endlich laufende Windrad macht erst den Wind. Eine schönere und schrägere Parabel dafür, dass der Mensch (und sein verlängerter Arm Maschine) seine Welt zu großen Teilen erst erschafft, ist kaum denkbar.

Sprachkurs als Blitzkrieg

Aber ach, wo das hinführt, ist bekannt. Nicht lange nachdem die beiden Techniker die Liebe als das Berge versetzende Reparaturmittel der Wahl erkannt haben, werden sie doch Opfer ihrer eigenen repressiven Erziehungsschäden, lehren Maruschka in einem Blitzkrieggleichen Zwangssprachkurs deutsche Disziplinarvokabeln, erliegen schließlich ihren Allmachtsphantasien und – Bumm!

Die Clownerie endet in einer Warndystopie, um in diesem Technikstück mal einen literarischen terminus technicus anzubringen. Oder ist es schon resignative Dokumentation? Wer weiß. Jedenfalls: Ein Ende, so hart und Genregemütlichkeit zerstörend, wie es die Welt um uns herum derzeit verlangt.

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Erstellt:
21.01.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 35sec
zuletzt aktualisiert: 21.01.2017, 01:00 Uhr

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