Asyl-Lager wird stillgelegt

Erstaufnahmestelle Ergenzingen: Ehemalige Fabrikhallen nur noch als Reserve

Die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Ergenzingen wird demnächst „auf inaktiv gestellt“. Die leeren Hallen samt Einrichtung werden vorgehalten für den Fall, dass wieder mehr Flüchtlinge kommen. Für etliche Beschäftigte sollen verträgliche Lösungen gefunden werden.

06.05.2016

Von Gert Fleischer

So sah es im vergangenen Oktober in der ehemaligen Dräxlmaier-Halle aus. Archivbild: Eisele

So sah es im vergangenen Oktober in der ehemaligen Dräxlmaier-Halle aus. Archivbild: Eisele

Rottenburg. Zwei Dutzend Vertreter/innen von Firmen, Institutionen und Behörden, die alle mit der Bedarfs-Erstaufnahmestelle (BEA) in Ergenzingen zu tun hatten, kamen auf Einladung des Tübinger Regierungspräsidiums (RP) am Mittwoch zum Runden Tisch ins Rottenburger Rathaus. Regierungsvizepräsident Christian Schneider erinnerte an die überraschende Einrichtung der BEA im September vorigen Jahres, als innerhalb weniger Stunden gut 500 Flüchtlinge unterzubringen waren.

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass in den ehemaligen Dräxlmaier-Werkhallen keine optimale Unterbringung möglich ist. Deshalb sei einiges ein- und umgebaut worden, um die Gebäude für bis zu 1000 Flüchtlinge nutzbar zu machen. Die Arbeiten seien fast abgeschlossen.

Doch nun sei die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge so stark zurückgegangen, dass es überall Überkapazitäten gibt. Im Regierungsbezirk seien 5000 Betten nicht belegt, in Baden-Württemberg insgesamt vielleicht 30 000.

In dieser Lage empfehle es sich, neue Flüchtlinge in Einrichtungen zu bringen, die besser geeignet sind als die Ergenzinger Hallen, also in ehemalige Kasernen in Meßstetten, Sigmaringen oder Ulm. In Tübingen seien noch einige Liegenschaften in der Diskussion, „so dass wir da noch Reserven hätten“, sagte Schneider.

Die derzeit 61 Flüchtlinge in Ergenzingen werden noch im Mai umgesiedelt, so dass die BEA im Gewerbegebiet „Höllsteig“ spätestens im Juni stillgelegt werden kann. Sie werde „nicht komplett geschlossen“, sondern, so formulierte es Schneider bildhaft, gleichsam in Alufolie verpackt. Die Betten werden gegen Staub geschützt, Strom und Wasser regelmäßig geprüft, auch eine Mindestsicherung werde gewährleistet. Die zwischenzeitlich personell verstärkte Polizei ist bereits wieder auf Normalstand reduziert.

Der Pachtvertrag, den das Land mit dem Eigentümer hat, läuft bis Ende 2017. Dazu hat das RP weitere Verträge geschlossen und Zuwendungsbescheide verschickt für Leistungen zum Betrieb der BEA. Das RP werde vertragstreu sein.

Doch die Haushaltsverantwortung gebiete es, Kosten zu minimieren. Deshalb will die Behörde mit den diversen Akteuren reden, ob Personal für andere Zwecke eingesetzt oder übernommen werden kann. Schneider: „Es ist traurig, wenn man wertvolle Mitarbeiter vor den Kopf stoßen muss.“ Diese Leute seien voriges Jahr in einer sehr kritischen Phase beauftragt worden und hätten „ganz wertvolle Arbeit geleistet“.

„Die Arbeit bleibt ja“, deutete Schneider eine Richtung an, in die das RP verhandeln will, um die für Ergenzingen eingestellten Leute anderweitig zu beschäftigen. Für die Betreuung der Asylbewerber, für Sprachkurse und für sonstige Integrationshilfen sei weiterhin Personal nötig. Schneider: „Ich werde mich mit bemühen, dass wir gute Lösungen finden.“

Am stärksten betroffen ist das Deutsche Rote Kreuz, Kreis Tübingen. Es hatte die Alltagsbetreuung übernommen und laut Kreisgeschäftsführer Bruno Gross 44 Frauen und Männer eingestellt, befristet bis Ende 2016, darunter auch geringfügig Beschäftigte. Arbeiterwohlfahrt und Caritas haben je eine Stelle für ein Jahr geschaffen. Die Gebäudereinigungsfirma hat jetzt plötzlich fünf Leute plus sieben geringfügig Beschäftigte zuviel. „Es ist nicht einfach, die von einem Tag auf den anderen woanders einzusetzen“, sagte deren Vertreterin.

RP-Vize Schneider weiß nicht, „ob irgendwann die Schleusen wieder geöffnet werden“ und erneut täglich Tausende Flüchtlinge kommen. Wenn’s so wäre, wäre die BEA innerhalb weniger Wochen wieder voll funktionsfähig.

Christian Schneider dankte „ganz herzlich der Stadt Rottenburg, sie hat in allen Bereichen immer geholfen“. Er würdigte Oberbürgermeister Stephan Nehers „persönliche Haltung“ gegenüber den Flüchtlingen: Die Menschen sind da, habe der OB stets gesagt, „dann müssen wir sie auch unterbringen.“ Das und ein ähnliches Engagement von Landrat Joachim Walter habe dem RP „unheimlich geholfen“.

OB Neher reichte einen Teil des Dankes gleich weiter an die Ortschaftsverwaltung Ergenzingen und an Ortsvorsteher Reinhold Baur, „der manchmal vor Ort allein im Feuer steht“. Vorgestern war Baurs Stellvertreter Rudolf Schäfer da. Er äußerte sich erleichtert, denn es sei schon hin und wieder im Ort gesagt worden, „für die Flüchtlinge wird was getan, für uns nicht“.

Bruno Gross dankte allen Kooperationspartnern, auch der Polizei, die stets sofort da gewesen sei. Sie habe aber hauptsächlich wegen formaler Dinge kommen müssen, ernste Zwischenfälle habe es so gut wie nicht gegeben. Was die Ergenzinger/innen ehrenamtlich geleistet haben, „sucht seinesgleichen“, sagte Gross. „Für mich ist das ein Vorbild-Projekt.“

Schneider fügte hinzu, die baulichen Defizite in Ergenzingen seien „kompensiert worden durch ein Mehr an Engagement und Herzenswärme“. Er, der seit November Vize im Tübinger RP ist, habe manchmal gedacht: „Wahnsinn, dass das läuft.“ Baden-Württemberg insgesamt könne stolz sein, dass keine Flüchtlinge obdachlos wurden. Selbstverständlich sei das nicht. Schneider: „Wir haben nie gelernt, mit Flüchtlingen umzugehen.“ Bild: RP

Chr. Schneider

Chr. Schneider

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Erstellt:
06.05.2016, 01:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 06.05.2016, 01:30 Uhr

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