Auf einen Whisky mit dem Drogenbaron

Er wurde überfallen und sollte Drogen schmuggeln: Heinz Giebenhain hat auf seinen Reisen viel erlebt

Opa, erzähl doch mal! Das wird Heinz Giebenhain in diesen Tagen wieder hören, an denen er in Braunschweig eins seiner beiden Kinder besucht.

05.08.2017

Von Tobias Zug

Bei Horkheimer und Adorno gelernt, in Südamerika gelehrt und sich durchgeschlagen: Heinz Giebenhain. Bild: Metz

Bei Horkheimer und Adorno gelernt, in Südamerika gelehrt und sich durchgeschlagen: Heinz Giebenhain. Bild: Metz

Da sieht er auch seine Enkelkinder, die Geschichten aus seinem Leben hören wollen. Und dann erzählt der 78-Jährige. Meistens von Lateinamerika.

Er lehrte Fußball und Basketball in kolumbianischen Slums

Wie er beispielsweise in den Slums von Cali in Kolumbien Basketball und Fußball gelehrt hat, wo keine Schule ist, kein Sportplatz und keine Kanalisation. Wie er in einer Bar in Ecuador von zwei jungen Männern überfallen wurde, der eine ihm das Messer an den Hals setzte, während der andere ihm die Lederjacke mit dem Geld stahl. Giebenhain packte den mit dem Messer am Schlawittchen, zog ihn raus auf die Straße, verprügelte ihn und nahm diesem als „Gegenleistung“ das Geld weg. Oder wie er in Santiago de Chile einmal bewusstlos wurde, weil ihm zwei Halunken wohl K.O.-Tropfen in sein Getränk mixten. Diese beiden Chilenen hatte Giebenhain zuvor in der „Bavaria“-Bar in Chiles Hauptstadt kennengelernt. Danach luden sie Giebenhain zu Hähnchen und Kognac „in eine üble Spelunke“ ein, wie er es nannte. Einer ging an die Theke und vollbrachte dort sein Teufelswerk. „In Kolumbien wäre mir das nicht passiert“, sagt Giebenhain, „da wäre ich erstens nicht mitgegangen, zweitens hätte ich ihn dann beobachtet.“

Beklaut und geschlagen

So trank Giebenhain einen kräftigen Schluck, „dann war ich ruckzuck weg“. Brille, Ehering, etwa 50 bis 60 Dollar – Giebenhain trug immer nur Bargeld bei sich – waren gestohlen. Irgendwo in einem Straßengraben muss ihn die Polizei aufgefunden haben. Blutüberströmt. Weil seine Hotelkarte noch in der Brusttasche steckte, konnte sie ihn zu seinem Aufenthaltsort bringen. Am Handgelenk hatte er noch einen Zahnabdruck. „Das heißt, ich muss einem noch eine geballert haben.“ Tags darauf holte ihn ein Fahrer ab, brachte ihn zum Flughafen. Wo er zu einem Vortrag an einer Universität flog, den er dort hielt.

Denn Giebenhains Auftrag in Lateinamerika war eigentlich immer ein akademischer. Der Sportsoziologe der Universität Tübingen sollte als Didaktik-Fachmann dort lehren. 1979 kam Giebenhain erstmals nach Kolumbien. Seine Affinität zu diesem Land war schon früher geweckt worden. Der in Michelstadt im Odenwald geborene und aufgewachsene Giebenhain hatte einen südamerikanischen Mitschüler, „einen Mulattenjungen“, wie dieser damals bezeichnet wurde, den Sohn eines Diplomaten. „Wir nannten ihn immer Kolumbus“, erzählt Giebenhain. Und mit ihm begann sich Giebenhain für Kolumbien zu interessieren, dessen geographischer Lage zwischen Pazifik und Atlantik.

Als Student war er von Adorno fasziniert

Bevor er aber erstmals dahin kam, war Giebenhain bei der Bundeswehr in Zweibrücken, prügelte sich dort mit dem Feldwebel („das waren damals viele alte Wehrmacht-Kapos, die den alten Drill draufhatten“) und studierte: Sport und Germanistik in Frankfurt, in einer spannenden Zeit (1960 bis 1968) unter den führenden Köpfen der sogenannten „Frankfurter Schule“ Max Horkheimer und Theodor Adorno. Lehramts-Student Giebenhain besuchte deren Vorlesung, war fasziniert von Adornos freien Reden („geschliffene Rhetorik von Anfang bis Ende“). Horkheimer drückte Giebenhain auch dessen Abschlussarbeits-Thema auf: „Der menschliche Leib in der Philosophie Kants und Schopenhauers“.

Spanisch lernte er aus der Zeitung – und auf der Straße

Giebenhain war danach als Referendar in Kurzschulen beschäftigt, ehe er über einen früheren Kommilitonen aus Frankfurt nach Tübingen ans Sportinstitut von Ommo Grupe kam. Von dort wurde er dann jahrzehntelang nach Lateinamerika geschickt. Die Sprache, Spanisch, hat er sich selbst beigebracht. Giebenhains Autodidakten-Tipp: „Ich habe jeden Tag mindestens fünf neue Begriffe gelernt, die ich in der Zeitung gelesen und dann ausgeschnitten habe.“ Bei acht wären das pro Monat etwa 240 Wörter – „das ist der Wortschatz der Bild-Zeitung und einer Rede von Konrad Adenauer, hab’ ich mal gelesen.“ Grammatik und Aussprache habe er auf der Straße, in den Taxis gelernt. Wichtig: „Wo immer ich war, habe ich erst einmal über die Fußball-Situation vor Ort gesprochen.“ Dann seien besonders die Taxifahrer ins Reden gekommen, und Giebenhain hatte seinen Spanisch-Kurs.

Whisky getrunken mit Pablo Escobar

Giebenhain redete viel mit den Menschen dort, ging – um in der Fußballsprache zu bleiben – dorthin, wo’s weh tat. So stand er mit Lehrerkollegen vor der mit Leibwächtern bewachten Villa des berüchtigten kolumbianischen Drogenbarons und Terroristen Pablo Escobar. Und irgendwie schafften sie es, dort Zutritt zu bekommen. Und tranken mit Escobar Whisky. „Persönlich war das ein netter Mensch“, sagt Giebenhain, „aber halt ein Auftragsmörder.“

Lebensgefährtin auf offener Straße erstochen

Oder Ecuador: Da hatte Giebenhain Anfang der 1990er Jahre einen Lehrauftrag, wäre vielleicht bis heute noch da. Wenn nicht 2002 seine damalige Lebensgefährtin dort umgebracht worden wäre. Auf offener Straße erstochen. „Keiner weiß warum und von wem“, sagt Giebenhain. Mittlerweile ist er mit einer Kolumbianerin verheiratet. Dann gab’s noch die Geschichte, wie er im Bus im Urwald von Panama angehalten wurde und zwangsgeimpft werden sollte, wie er vom Chef der kolumbianischen Mafia eingeladen wurde und der Regierungschef ihn bat, fünf Kilogramm Kokain über die Grenze zu schmuggeln; wie gastfreundlich Mexikaner sind, wie er fast mal im Pazifik ertrunken wäre und einen Lawinensturz überlebt hat. Das war im Klein-Walsertal.

Mittlerweile kommt Giebenhain selten nach Lateinamerika, er hat sich ins relativ beschaulichere Tübingen zurückgezogen. Ob er nicht ein Buch schreiben will? Giebenhain überlegt. „Bisher war ich zu faul dafür. Aber vielleicht sollte ich das machen, ich muss es dann halt noch strukturieren.“ Unbedingt.

Heinz Giebenhain

1939 in Michelstadt (Odenwald) geboren, Abitur am Gymnasium

1960 bis 1968 Studium in Frankfurt (Sport und Germanistik auf Lehramt)

1968 bis 1969 Referendar an Kurzschulen an der Ostsee, in Berchtesgaden und Klein-Walsertal, danach vom hessischen Schuldienst ein Jahr beurlauben lassen

1971 bis 2004 Dozent am Institut für Sportwissenschaft in Tübingen

1990 Promotion an der Universität Tübingen

Giebenhain ist in zweiter Ehe verheiratet, hat zwei Kinder aus erster Ehe und vier Enkelkinder.

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Erstellt:
05.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 57sec
zuletzt aktualisiert: 05.08.2017, 01:00 Uhr

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