Der Bergrutsch ist sein Lebenselixier

Er hängt am Hang: Der Mössinger Armin Dieter erklärt seit 30 Jahren das Naturphänomen

Seit zehn Jahren ist der Mössinger Bergrutsch „Nationaler Geotop“ – doch ohne Armin Dieter wäre das Naturphänomen womöglich nur ein Haufen Steine. Der Albtrauf-Kenner hält seit 40 Jahren Vorträge über Natur und Geologie der Region – und dokumentiert jede Veränderung.

19.05.2016

Von Eike Freese

Alte Dia-Projektoren (links) und neue Software: Armin Dieter nutzt beides. Seit Neuestem unterlegt er seine Vorträge mit Musik und Geräuschen und bindet auch Videos ein. Bilder: Rippmann (2), Dieter (2), ST

Alte Dia-Projektoren (links) und neue Software: Armin Dieter nutzt beides. Seit Neuestem unterlegt er seine Vorträge mit Musik und Geräuschen und bindet auch Videos ein. Bilder: Rippmann (2), Dieter (2), ST

Nein, minutiös geplant war diese Karriere nicht – im Grunde ist Armin Dieter in seine Profession eher zufällig hineingerutscht. Beim Mössinger, Jahrgang 1958, schien lange Zeit alles auf eine gründlich abgesicherte Laufbahn hinauszulaufen: Abitur 1977, Verwaltungswirt, Industriekaufmann. Doch dann bewegten sich die Erdmassen am Hirschkopf, im Jahr 1983, und Dieter fotografierte das. Und später, als sich seine Bildbände zehntausendfach verkauften, sich Fernsehteams über Monate am Albtrauf einquartierten und sich die Anfragen nach wöchentlichen Dia-Vorträgen häuften, Mitte der 1990er also, da hängte der Mössinger einfach alles andere an den Nagel und folgte endgültig dem Ruf des Bergrutsches. „Das funktioniert nur durch eine Aneinanderreihung von Zufällen“, sagt Dieter. „So eine Laufbahn kann man nicht wollen und planen – dann wäre man ja verrückt.“

Die verrückte Geschichte beginnt schon lange vor dem großen Bergrutsch am Hirschkopf. Bereits in der Schulzeit am Quenstedt-Gymnasium beginnt Dieter, im Dickicht rund um Mössingen erste Foto-Erfahrungen zu sammeln. Als er 12 Jahre alt war, verstarb sein älterer Bruder und der junge Armin erbte eine Praktica Nova. Ein langes Teleobjektiv war bereits dabei und half dem Schüler, in den frühen Morgenstunden Füchse, Dachse oder Rehe auf Dia-Film zu bannen. In den Ferien jobbte Armin Dieter und brachte es soweit, sich bereits mit 18 Jahren schier unverwüstliche Projektoren von Kodak kaufen zu können. 1976, vor genau 40 Jahren, hielt er mit denen einen ersten Vortrag in der Kurklinik Sebastiansweiler. Dort tritt er noch heute regelmäßig auf – und auch die Kodak-Maschinen benutzt Dieter noch. „Beachtliche Qualität, das muss man schon sagen“, sagt er mit Blick auf die antiken Teile.

Dass Armin Dieter bereits als Schüler damit begonnen hat, mit Dia-Filmen zu fotografieren und viel zu fotografieren, war rückblickend nicht nur für ihn ein Segen. Als vor genau zehn Jahren geprüft wurde, ob der Mössinger Bergrutsch zum „Nationalen Geotop“ taugt, prüfte die Jury in Hannover akribisch, wie tragfest die Dokumentation der eingereichten Vorschläge ist. Von 180 Bewerbern setzten sich im Mai 2006 nur 77 durch. Dazu zählten prominente Landschaften wie das friesische Wattenmeer, die Kreidefelsen auf Rügen oder das Elbsandsteingebirge – und eben auch der Bergrutsch, dokumentiert von Armin Dieter. „Dadurch hat sich das Interesse an Mössingen noch einmal spürbar erhöht“, sagt der Fotograf.

Wobei: Im engeren Sinne gering war das Interesse am Bergrutsch auch in den 23 Jahren zuvor nie gewesen. Als Dieter am 12. Juni 1983, genau zwei Monate nach dem Ereignis, ins volle Mössinger Feuerwehrhaus zum Dia-Abend lud, war der Hunger der Einheimischen nach Infos groß. Seitdem buchte man Dieter für rund 2000 Foto-Vorträge – über die Hälfte davon handelten vom Hirschkopf. Bei rund 1600 Führungen durchs Geröll hielt er vor geschätzten 60 000 Besuchern seine großformatigen Foto-Tafeln hoch. Dieter begann damit im Jahr 1986 – vor genau 30 Jahren.

Seit 2009 postiert der Landkreis Tübingen den Mössinger am Stand auf der Stuttgarter Tourismus-Schau CMT, um für Ausflüge in die Region zu werben. Solch quasi amtliche Anerkennung musste sich Dieter oft mühsam erstreiten. Noch Mitte der 1990er, nach Jahren des Applauses für seine Arbeit, verbat sich das Regierungspräsidium plötzlich Fotos und Führungen am Bergrutsch. Begründung: Das könne das Naturphänomen bekannter machen. Und Leute anlocken, die den Bergrutsch sehen wollen.

Für Dieter, der seit den 1990ern seine Existenz an den Hang geknüpft hat, keine leichte Sache. Doch zu der Zeit ging auch das mediale Interesse plötzlich durch die Decke. Der Bayerische Rundfunk drehte hier ein Jahr lang und legte Dieter für seine Mitarbeit 1994 einen Vertrag vor: 3500 Mark, die Hälfte Vorschuss, der Rest bei Drehschluss. Dieter sagte zu – obwohl der Ertrag dem Aufwand eher weniger entsprach. Doch dieses Filmprojekt war, wie die 16 anderen Drehs auch, Teil seiner Mischkalkulation aus Popularität, Vorträgen und Führungen.

Und Büchern natürlich. Den ersten Rutsch-Band hatte Dieter 1992 noch mit 20 000 Mark vorfinanzieren müssen. Kein Pappenstiel für den damals noch angestellt Beschäftigten. Nach Monaten des Bangens kam damals das Aufatmen: Die Auflage, die sich hirschkopfhoch in Dieters Garage türmte, verkaufte sich blendend. Eine neue Profession war geboren: die des Bergrutsch-Fachmanns. „Es gibt ja nicht besonders viele Bergrutschführer“, sagt Dieter, „deshalb nannte man mich zunächst ‚Der einzige Bergrutschführer der Region‘. Dann: ‚Der einzige Bergrutschführer Baden-Württembergs‘“. Und heute? „Heute“, sagt Dieter, „eigentlich nur noch: ‚Der einzige Bergrutschführer‘“.

Er hängt am Hang: Der Mössinger Armin Dieter erklärt seit 30 Jahren das Naturphänomen
Er hängt am Hang: Der Mössinger Armin Dieter erklärt seit 30 Jahren das Naturphänomen
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Er hängt am Hang: Der Mössinger Armin Dieter erklärt seit 30 Jahren das Naturphänomen

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Erstellt:
19.05.2016, 18:45 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 19.05.2016, 18:45 Uhr

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