Bundestagswahl

Ein bekennender Utopist

Mit Poesie und Musik warb der Liedermacher Konstantin Wecker für mehr Zärtlichkeit und die Linke.

04.09.2017

Von Monica Brana

Die Leute sollen sich in die Politik einmischen, finden Heike Hänsel und Konstantin Wecker. Bild: Faden

Die Leute sollen sich in die Politik einmischen, finden Heike Hänsel und Konstantin Wecker. Bild: Faden

„Haben wir überhaupt eine Chance?“, fragte Konstantin Wecker am Samstagabend die linke Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel. „Immer!“, antwortete sie. Diese Überzeugung bestimmte den musikalischen Wahlkampfabend vor rund 300 Zuhörern im Sudhaus-Biergarten. Angelehnt an Ernst Bloch lautete das Motto: „Prinzip Hoffnung?!“ Pianist Jo Barnikel begleitete Wecker virtuos, hielt sich inhaltlich aber zurück.

In ihrem Gespräch, das sie zwischen den musikalischen Einlagen führten, riefen Hänsel und Wecker die Gäste, von denen die meisten bereits fortgeschrittenen Alters waren, dazu auf, sie sollten sich aktiv ins politische Tagesgeschehen einbringen. Der 70-jährige Altachtundsechziger verglich Hänsel mit dem Grünen-Gründungsmitglied Petra Kelly, für die er Musik gemacht habe, um sie ins Parlament zu holen. „Wir wissen alle, was aus den Grünen geworden ist“, sagte er.

Die Partei habe sich verändert, für ihn als Pazifisten gebe es derzeit keine Alternative zur Linken. Doch müsse auch die Linke einen neuen Weg beschreiten, Zärtlichkeit und Poesie gegen Parolen setzen. „Wir dürfen die Interpretationshoheit nicht abgeben“, sagte Wecker. Konzerne und der Neoliberalismus seien die wahren Feinde.

Im Jahr 2003 reisten Hänsel und Wecker gemeinsam nach Bagdad in der Absicht, gegen den Einmarsch der USA zu demonstrieren. Trotzdem begannen diese wenige Wochen später den Irakkrieg. „Das Tor zur Hölle ist nun offen“, sagte Wecker. Andererseits bemerkte er, dass ein pazifistischer US-Präsident das wirtschaftliche Ende der Vereinigten Staaten bedeuten würde. „Ich darf doch weiter träumen.“

Woher eigentlich plötzlich die „linke Gefahr“ in den Medien komme, fragte Hänsel, wo doch das eigentliche Problem „rechts“ liege. Nach Ansicht Weckers zielen öffentlich-rechtliche Medien darauf ab, die Gefahr eines Bürgerkriegs im Land heraufzubeschwören. Auch zeigte er sich überzeugt, der Polizeieinsatz während des zurückliegenden G20-Gipfels in Hamburg sei eindeutig auf Eskalation angelegt gewesen. Sein 18-jähriger Sohn habe im „Schwarzen Block“ mitdemonstriert und sei aufgrund seiner Kleiderwahl am Bahnhof verhaftet worden.

„Ich bin ein bekennender Utopist“, sagte der 70-Jährige. Er träume von einer herrschaftsfreien Welt und könne sich nicht vorstellen, dass jemand das Recht besitze, jemand anderem irgendetwas zu befehlen. Doch sprach er sich nicht prinzipiell gegen die Polizei aus: In seinem Traum einer herrschaftsfreien Welt brauche es eine „demokratische Polizei“.

Als zusätzlichen Gast holte Hänsel den Vorsitzenden der Tübinger „Gesellschaft Kultur des Friedens“ (GKF) mit auf die Bühne. Henning Zierock berichtete von seinen Versuchen, Geflüchtete in Athen und auf der Insel Lesbos zu unterstützen. „Ihr glaubt gar nicht – Hunderte Jugendliche waren begierig, zu lernen!“, rief er. Auf Lesbos hatte er jungen Geflüchteten aus afrikanischen Ländern Gitarrenunterricht gegeben. Sie säßen dort fest ohne sinnvolle Beschäftigung. Die GFK habe dort auch versucht, die Lage der Flüchtlinge materiell zu verbessern – beispielsweise mit Babynahrung. Doch die Mittel seien nach einem Tag erschöpft gewesen, so Zierock.

Gegen die Liederwünsche Hänsels und des Publikums setzte Wecker seinen eigenen Kopf durch. Anstatt „Wer hat uns verraten?“ zu singen, wie Hänsel vorschlug, wollte er lieber „ein Liebeslied“ singen („Was immer mir der Wind erzählt“). „Ganz durcheinander“ zeigte sich der Liedermacher in „Weil ich dich liebe“, es schien, als habe er die restlichen Zeilen des Textes vergessen, doch folgten Hänsel und das Publikum dieser Aufforderung zum Mitsingen.

Zum musikalischen Abschluss des Abends stieg Wecker von der Bühne hinunter zum Publikum und sang, teils deutsch, teils italienisch, „Questa nuova realta“. Aufhören wollte Wecker eigentlich mit einem Gedicht, das ihm vor sechs Jahren „passierte“. Es handelte von der Macht des Augenblicks, dass alles vergeht, aber der Moment nicht. Als das Publikum ihn zu einer Zugabe aufforderte, legte der Liedermacher nach mit „Was passierte in den Jahren“.

Für Dienstagmittag kündigte der 70-jährige Liedermacher eine Protestaktion vor dem Brandenburger Tor an. Die Namen Tausender verunglückter Flüchtender sollen transparent gemacht und damit die prekäre humanitäre Situation kritisiert werden.

Konstantin Wecker

Seit den Sechzigerjahren tritt der 1947 geborene Münchner mit selbstgeschriebenen Liedern auf, als Pianist und Sänger. In sein Werk fließt stets das politische Tagesgeschehen ein, Wecker ist erklärter Antifaschist.