Wirtschaftskriminalität : Der Ruin der Anderen

Ein Vermögensverwalter hat zahlreiche Menschen im Kreis Tübingen um ihr Erspartes gebracht

Genau 173.184 Euro und 28 Cent: Diese Summe hat ein Finanz-Verwalter mit Sitz in Mössingen einer heute 60-jährigen Frau aus Belsen genommen. Der ehemaligen Näherin, die nach einem Unfall seit Jahren schon nicht mehr arbeiten kann, bleibt damit nichts mehr für ihren Lebensabend. Im Gegenteil. Sie hat sogar noch Schulden – weil sie dem zwischen Steinlach und Wiesaz durchaus bekannten Geschäftsmann ihre ganzen Ersparnisse anvertraut hatte.

25.11.2016

Von Eike Freese

Symbolbild: liveostockimages - Fotolia

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Ähnlich erging es zahlreichen weiteren Menschen im ganzen Kreis Tübingen: Seit den 1990ern hat der heute 65-Jährige für sie Häuser, Wohnungen und Vermögen verwaltet. Und irgendwann um das Jahr 2010 herum entschied er sich dazu, sich nach Gusto von den Konten seiner Kunden zu bedienen – völlig unabhängig davon, ob sie wohlhabend oder arm, gesund oder gesundheitlich eingeschränkt waren. Mindestens 332.000 Euro wanderten von den ihm überlassenen Konten auf sein eigenes. Betroffen sind vier Familien aus Mössingen, Belsen und Pfrondorf, dazu zwei Eigentümer-Gemeinschaften aus Mössingen und Hirrlingen. Sie hatten dem Unternehmer die Verwaltung ihrer eher bescheidenen Immobilien oder Geld zur Anlage anvertraut. 172 mal holte der sich Tausender-Beträge unter fingierten Rechnungsnummern auf sein eigenes Konto. Allein 52 mal bediente er sich bei der Frau aus Belsen – und fuhr bei sporadischen Gesprächen mit seinem frischen 250-PS-Mercedes vor.

Auch ein teures Haus konnte sich der Kusterdinger auf die Art leisten, selbst als es bei ihm im Zuge der Finanzkrise nicht mehr so recht lief. Sein Geschäft hatte zur Hälfte auf einer einzigen Kundin gegründet. Als die ihren Anlageauftrag kündigte, hatte er begonnen, seinen Lebensstil auf Kosten von anderen zu bestreiten.

Der Selbstbedienungsladen funktionierte, weil der ehemalige Bankangestellte seine Kunden teils seit mehr als 20 Jahren kannte und die ihm vertrauten. Bis zu einem Tag im Oktober 2013: Da stand eine Versammlung von Wohneigentümern an, die er in den Monaten zuvor noch zu vermeiden wusste. Allein hier wären rund 45.000 der kreativ verbuchten Euro aufgeflogen – so dass sich der Unternehmer am Tag davor entschied, sich bei der Tübinger Polizei lieber selbst anzuzeigen. „Die Selbstanzeige kam nicht um fünf vor Zwölf“, kommentierte gestern ein Tübinger Ermittler: „Sie kam um Zwölf.“

Es dauerte lange, bis Staatsanwältin Tatjana Grgic bei ihrem Plädoyer am gestrigen Donnerstag alle 172 Fälle von gewerbsmäßiger Untreue und das jeweils angemessene Strafmaß vorgetragen hatte. In den Stunden zuvor hatte der Unternehmer kaum etwas zu seiner Verteidigung zu sagen gehabt. „Meine Lebenshaltung“ habe er sich mit dem Geld anderer Menschen finanzieren wollen. „Ansonsten hatte er ja nichts“, fügte sein Verteidiger Ewald Krumm hinzu – und ergänzte, durchaus kurios in diesem Mandat: „Das war auch ein Grund, warum er Selbstanzeige erstattet hat: Er hat nur von diesen Konten gelebt – und dort war nichts mehr da.“

Ins Reden kam der Angeklagte vor dem Amtsgericht kaum mit Blick auf die Geschädigten. Wohl aber, als es um seine berufliche Zukunft und die damit einhergehende Sozialprognose ging. Von Jahresbeginn an könne er, wie er sagte, mit einer Anstellung als Immobilienverwalter in der Region Stuttgart rechnen, die „eine tolle Herausforderung“ sei: „Solange ich fit bin, werde ich arbeiten. Mir macht die Arbeit Spaß.“

Für das Gericht gab dieser Plan mit den Ausschlag für das Strafmaß – zusammen mit der Tatsache, dass der Mann bei seiner Selbstanzeige viele Daten für sein Verbrechen mitgeliefert habe: Zwei Jahre wegen gewerbsmäßiger Untreue, ausgesetzt zur Bewährung auf vier Jahre. Das hatte auch die Staatsanwaltschaft gefordert, die Verteidigung schloss sich dem an. Wenn der Verurteilte den erwähnten Verwalter-Job bekommen sollte, muss er vier Jahre lang 800 Euro im Monat den Betrogenen zukommen lassen – davon 600 Euro monatlich der 60-Jährigen aus Belsen. 100 Euro im Monat soll in dieser Zeit eine Frau aus Pfrondorf bekommen, je 50 zwei Familien aus Mössingen. Sollte er den Geschädigten nichts überweisen können, „dann fällt uns bestimmt die eine oder andere Sozialstunde ein“, wie Richterin Sabine Altemeier formulierte.

Hauptbegründung für das Urteil: Wenn der 65-Jährige ins Gefängnis gekommen wäre, sei absehbar, dass die Opfer komplett leer ausgingen. Der Verurteilte will sich nach eigener Aussage „bemühen, einen Beitrag zur Wiedergutmachung zu leisten“. In den nunmehr drei Jahren nach seiner Selbstanzeige hat er das, trotz eines Einkommens, nicht getan.

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Erstellt:
25.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 00sec
zuletzt aktualisiert: 25.11.2016, 01:00 Uhr

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