38. Landkreisversammlung

Ein Besuch in Reutlingen ist kein Gang nach Canossa

Schlagabtausch zwischen Tübingens Landrat Joachim Walter und Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Stadthalle.

25.10.2016

Von Thomas de Marco

Joachim Walter, Präsident des Landkreistages, und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Archivbilder

Joachim Walter, Präsident des Landkreistages, und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Archivbilder

Das Tagesthema klang wenig konfliktträchtig: „Landkreise – kompetente und bewährte Partner des Landes“ war gestern die 38. Versammlung der 35 Landkreise in der Reutlinger Stadthalle überschrieben. Doch dann kam es zum heftigen Schlagabtausch zwischen Tübingens Landrat Joachim Walter und Gastredner Winfried Kretschmann. Walter, Präsident des Landkreistags, erneuerte seine Kritik am Land während der laufenden Haushaltsverhandlungen. „Sparen heißt nicht, anderen in die Tasche zu greifen“, sagte Tübingens Landrat in Richtung des Ministerpräsidenten vor 350 Gästen.

Bereits im Tübinger Kreistag hatte Walter kritisiert, dass von den rund 950 Millionen Euro, die der Bund als Finanzausgleich zugesagt hatte, immer mehr heruntergerechnet werde (wir berichteten). Nun legte der Landrat nach und griff diesen Vorwegabzug von Finanzmitteln scharf an: „Es ist von kaum zu beschreibender Widersprüchlichkeit und Ignoranz, wenn uns in den Finanzverhandlungen gesagt wird, erst nehmen wir euch 300 Millionen Euro weg und geben euch über den Integrationspakt wieder 160 Millionen zurück. Und möglicherweise profitiert ihr Kommunen auch noch von einem Sanierungstopf.“

Schon alleine wegen der Bürokratie appellierte er an Kretschmann: „Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, das ist nicht der Stil, den wir von Ihnen kennen.“ Er sei sicher, dass es trotz der scheinbar festgefahrenen Verhandlungen einen Weg geben müsse, dass sich beide Seiten einig würden. „Machen Sie das Thema zur Chefsache!“, forderte Walter unter großem Applaus.

Das war eine Steilvorlage für Kretschmann, nachdem er sich zu Beginn seiner Rede mehrfach in Zahlen und Fakten verheddert hatte: „Wenn ich das zur Chefsache mache, dann kann ich die Finanzministerin gleich entlassen. Und wer sagt Ihnen, dass die Verhandlungen mit mir besser laufen würden?“, meinte er. Auf jeden Fall werde er mit der Ministerin reden. „Wir haben bisher zwölf Stunden verhandelt, da können wir auch noch drei Stunden dranhängen“, erklärte Kretschmann in Bezug auf die derzeit laufenden Haushalts-Verhandlungen.

Den neuen Länderfinanzausgleich wertete der Ministerpräsident als großen Erfolg nach vier Jahren schwieriger Verhandlungen. „Das lasse ich mir nicht ausreden!“ Dabei sei auch für die Kommunen mit verhandelt worden. Darüber stehe in dem Beschwerdebrief, den die kommunalen Spitzenverbände jüngst an das Land geschrieben hatten, leider nichts. „Mir scheint, dass den Kommunen deren gute finanzielle Lage gar nicht richtig bewusst ist“, sagte Kretschmann.

2020 greife die Schuldenbremse, deshalb werde es jetzt ernst. „Aber die Kommunen in Baden-Württemberg stehen hervorragend da. Wir lassen keinen geschwächten Patienten zur Ader.“ Trotz der Konsolidierung des Landeshaushalts würde in wichtige Bereiche investiert, betonte der Ministerpräsident und nannte Digitalisierung sowie Sanierung von Straßen und Gebäude.

Fast jeder vierte Euro fließt an die Landkreise und Kommunen. „Wir behandeln Sie gut – und seien Sie sicher: Das wird so bleiben!“ Deshalb sei er auch in Reutlingen und nicht in Canossa, erklärte Kretschmann in Bezug auf den Abbitte-Gang, den Kaiser Heinrich IV im Jahr 1077 unternahm.

Zudem müsste den Leuten öfter mal gesagt werden, in welch geordnetem Kommunalsystem sie leben – gerade vor dem Hintergrund der EU-Krise, Angst machenden Populisten und einem Donald Trump vor den Toren, riet Kretschmann.

Privates Kapital in sozialen Wohnungsbau schleusen

Bevor es gestern zum Duell zwischen Landkreistags-Präsident Joachim Walter und Ministerpräsident Winfried Kretschmann gekommen ist, lobte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) in ihrem Grußwort die Landkreise für deren Leistung bei der Unterbringung von Flüchtlingen: „Sie haben Großartiges geleistet und Stärken gezeigt, die ich sehr bewundere!“ Sie ist sich sicher: „Auch bei der Integration werden wir die Probleme meistern.“ Der Ministerpräsident zollte den Kreisen ebenfalls großen Respekt für deren Bewältigung der Herausforderungen und unterstützte Walters Forderung nach steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten im sozialen Wohnungsbau: „Wir müssen privates Kapital da hineinschleusen. Dass es bisher nicht dazu kam, liegt nicht an Baden-Württemberg. Ich hoffe auf einen zweiten Anlauf.“

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Erstellt:
25.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 25.10.2016, 01:00 Uhr

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