Übrigens

Durchs Abitur gefallen

Der Schlachtruf „Abiiiiiii!“ rund um die Platanenallee und den Anlagenpark ist verklungen, die letzten mündlichen Prüfungen sind überstanden. Nicht alle haben es gepackt.

01.07.2016

Von Christiane Hoyer

Nach den schriftlichen Klausuren war Jakob, der eigentlich anders heißt, noch einigermaßen zuversichtlich, machte Party, trug wie alle die Abi-Klamotten. Das ganze Drumherum eben. Doch dann kam der Anruf aus dem Rektorat. Die Punktzahl reichte nicht, um überhaupt zum Mündlichen anzutreten. Und nun? Was soll jetzt werden, wie geht es weiter? Noch ein Jahr Schule dranhängen, wo alle Freunde raus sind aus der Mühle oder eine Lehre beginnen?

Durchgefallen im Abitur – das steckst du nicht so einfach weg, sagt Jakob. Seine Freunde haben ihn natürlich zu trösten versucht, haben ihn zum Abifest eingeladen. Aber dann werden sie sich in alle Winde verstreuen. Die Tübinger Gymnasien lassen die durchgefallenen Schüler mit ihren Fragen nicht allein. Der geschäftsführende Schulleiter Helmut Janisch sagt: „Wir lassen sie nach der misslungenen Prüfung erst gehen, wenn sie sich beruhigt haben“. Schon vor den mündlichen Prüfungen führen die Oberstufenberatungslehrer mit den gefährdeten Abiturienten ausführliche Gespräche. Außerdem, sagt Rektorin Cornelia Theune von der Geschwister-Scholl-Schule, entstehe die Gefahr, durchzufallen „ja nicht plötzlich“, da die Schüler ab Klasse 11 Punkte fürs Abi sammeln. Wo jemand gefährdet ist, setzt sich der Schulleiter mit in die mündliche Prüfung. Wenn die schiefgeht, „lassen wir den Schüler hinterher nicht allein und klären ihn über seine Möglichkeiten auf“, sagt Janisch. Er erinnert sich auch an einen Fall, da hat der Schulsozialpädagoge den durchgefallenen Abiturienten nach Hause begleitet, weil der Junge Angst vor der Reaktion seiner Eltern hatte. Damit Betroffene nicht unüberlegt alles hinschmeißen oder in ein psychisches Loch fallen, bieten auch Beratungslehrer Hilfe an. Sie vereinbaren gleich nach der Prüfung einen Termin – das gibt trotz Frust eine Perspektive.

Auch im benachbarten Böblingen geht man seit einem tragischen Vorfall vor etlichen Jahren besonders sensibel mit denen um, die das Abitur nicht bestehen. Damals verließ ein durchgefallener Abiturient nach der Prüfung die Schule – und nahm sich das Leben. Seither wird jeder Abiturient, der gefährdet ist, von einem Beratungslehrer betreut. Auf keinen Fall allein lassen, ist die Devise – egal, ob der Schüler unmittelbar nach dem Misserfolg lieber seine Ruhe haben will, statt ausgerechnet einen Lehrer an seiner Seite zu haben.

Und: Abitur ist nicht alles. Der Rapper Sido hat das Gymi in der 11. Klasse geschmissen, der spätere Außenminister Joschka Fischer machte nach der 10. Klasse eine Fotografenlehre. Und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann war in der Schule – ähnlich wie die meisten seiner sechs Kinder später – so schlecht, dass er mit Ach und Krach die Mittlere Reife schaffte. Abiiiii ist also nicht alles. Es kommt bloß auf die Perspektive an.

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Erstellt:
01.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 22sec
zuletzt aktualisiert: 01.07.2016, 01:00 Uhr

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