„Diese Kids sind meine Geschwister“

In den Fußstapfen von Charles M. Schulz: „Peanuts“-Zeichnerin Vicki Scott

Vicki Scott hat Garfield gezeichnet und für Spielberg gearbeitet. Seit 2012 gehört sie zum „Peanuts“-Team. Im Interview erzählt sie, wie es sich anfühlt in den Fußstapfen von Charles M. Schulz, genannt „Sparky“.

19.12.2015

Von CLAUDIA REICHERTER

Das Titelbild zu Vicki Scotts erstem „Peanuts“-Buch, „Auf zu den Sternen, Charlie Brown“, zeigt Snoopy im Raumanzug. Fotos: © Cross Cult

Das Titelbild zu Vicki Scotts erstem „Peanuts“-Buch, „Auf zu den Sternen, Charlie Brown“, zeigt Snoopy im Raumanzug. Fotos: © Cross Cult

Frau Scott, die meisten Illustratoren bekämen Schnappatmung, würden sie aufgefordert, am Werk ihres Idols Charles M. Schulz weiterzuarbeiten. Wie kamen Sie dazu?

VICKI SCOTT: Meine Mutter hatte schon früh entdeckt, dass es ihre größtmögliche Chance auf einen ruhigen Nachmittag bedeutete, wenn sie mich und meinen Bruder einfach zeichnen ließ. Deshalb zeichne ich schon mein Leben lang. Ein Highschool-Lehrer hat mich auf dem Weg zur Animationskünstlerin gefördert. So bekam ich für meine kleinen Zeichentrickfilme bald schon ein paar Preise. Als „Garfield“ Mitte der 80er Jahre auf dem Höhepunkt seines Erfolgs war, arbeitete ich für dessen Schöpfer Jim Davis und zeichnete zwei Jahre lang alle 20 Minuten eine neue Garfield-Figur. Da hab ich viel gelernt, und Jim war ein charmanter und sehr warmherziger Chef. Aber ich wurde des Schnees und der Farbe Orange überdrüssig und zog nach Los Angeles zurück. Nach diversen Jobs dort legte ich 20 Jahre Babypause ein. Seit unsere Kinder erwachsen sind, freu ich mich, mich um die „Peanuts“-Kinder kümmern zu können!

Wieso gibt es jetzt neue Charlie-Brown-Abenteuer, wo doch Schulz selbst verfügte, dass nach seinem Tod zumindest keine neuen „Peanuts“-Zeitungs-Comics mehr entstehen sollen?

SCOTT: In den Jahren 2009 und 2010 wollten Schulz Erben, die Charles M. Schulz Creative Associates, eine Graphic Novel zu einem gerade beendeten Fernseh-Special haben und beauftragten damit meinen Mann Bob. Da der damals noch Vollzeit für Pixar arbeitete, beschlossen wir, das Buch gemeinsam zu machen. Es war herrlich, das erste Mal seit 1987 wieder mit meinem Mann zusammenzuarbeiten!

Ihr „Peanuts“-Team, mit dem Sie seither schon das sechste neue Comic-Buch herausgebracht haben, besteht aus neun Personen. Wofür sind die jeweils zuständig?

SCOTT: Die „Peanuts“-Comics sind ein Riesen-Unternehmen. Es erstaunt mich immer wieder, dass es so viele Leute braucht, um das zu tun, was Sparky ganz allein geschafft hat. Da wären zunächst mal ein bis drei Autoren, die die Geschichten schreiben. Ich war zunächst als Zeichnerin angeheuert worden und freue mich sehr, dass ich inzwischen auch die Storys der Comics schreiben darf. Für beides muss ich meine Persönlichkeit soweit es geht zurücknehmen, um Sparkys Werk so originalgetreu wie möglich weiterzuführen. Für manche Geschichten gibt es dazu einen Layouter, einen Zeichner, der die Skizzen macht, einen, der sie mit Tusche ausarbeitet, einen, der die Schrift hinzufügt, einen, der für die Farben verantwortlich ist, und den Schlussredakteur. Wow, sieben bis neun Leute für Storys, die manchmal nur zwei Seiten lang sind.

Wann sind Sie zum ersten Mal den „Peanuts“ begegnet? Schon als Kind?

SCOTT: Ich bin mit den „Peanuts“ groß geworden. Meine ganze Familie las die Zeitungs-Comics jeden Tag, und das war unser Lieblingsstrip. Ich bin so alt, dass ich mich damit brüsten darf, die ersten Weihnachts- und Halloween-Folgen im Fernsehen gesehen zu haben! So entstand eine enge Bindung, deshalb sind diese Kids für mich wie Geschwister. Ich bin zudem zu jener Zeit aufgewachsen, in der die Comics spielen. Wir fuhren Rollerskates, spielten Seilhüpfen auf dem Trottoir, gingen zu Fuß zur Schule, fuhren den ganzen Tag Rad und benutzten große klobige Telefone mit verhedderter Schnur. Das war eine andere Kindheit, als sie die Kinder heute erleben. Die Arbeit an den „Peanuts“ ist wie Heimkommen, sie führt mich zurück in meine Jugend.

Und wie fühlt es sich an, sich in Schulz Fußstapfen zu bewegen? Sind die nicht entsetzlich groß?

SCOTT: Als wir Zeichner suchten, sagten zunächst 99 Prozent der unglaublich talentierten befragten Künstler ab. Sie konnten es nicht ertragen, in die Schuhe ihres Helden zu schlüpfen, hatten Angst, seinen Figuren zu schaden. Vielleicht war ich da naiver, denn solche Gedanken hatte ich nie. Ich liebte die „Peanuts“-Charaktere und wusste erstmal nichts über deren Schöpfer. Ich hatte mich schon an Jim Davis und Tim Burtons Stil angepasst, Bugs Bunny und Familie Feuerstein gezeichnet, warum also nicht auch Snoopy und Co.? Erst nachdem ich bei Creative Associates angefangen hatte mit dem Schulz Museum gleich nebenan, lernte ich viel über Sparky. Ich hab s immer genossen, seine Originale zu studieren.

Was ist besonders an seinem Werk?

SCOTT: Für mich persönlich: Oberflächlich wirken die Zeichnungen wie einfache, lustige Kritzeleien, bei denen er sich anscheinend nicht allzu viele Gedanken gemacht hat. Aber dahinter steckt in Wahrheit eine Dokumentation des Lebens eines Mannes. Es geht ganz konkret um sein Leben, seine Ansichten, seine Probleme, seine kleinen Siege. Weil die Geschichten in so viel persönlicher Wahrheit wurzeln, können sich so viele von uns ganz tiefgehend mit ihnen identifizieren. Diese scheinbare Unbekümmertheit machte die Strips den Lesern noch zugänglicher. Aber glauben Sie mir, das sind alles andere als halbherzig hingeworfene Schnörkel. Er setzte jeden Strich ganz gezielt, selbst im Alter, als ihn körperliche Beschwerden behinderten.

Wer ist ihr Lieblings-“Peanut“?

SCOTT: Jeden Tag ein anderer!!! Als kleines Kind war es Woodstock. Heute liebe ich Sally. Sie hat großartige Haare und solche tollen Stimmungsschwankungen!

Haben Sie auch mit dem Film etwas zu tun, der jetzt in die Kinos kommt?

SCOTT: Nein, daran war ich fast gar nicht beteiligt. Den haben die sehr begabten Zeichner von Blue Sky in New York animiert, die brauchen meine Hilfe ehrlich nicht! Ich hab den Film eben erst gesehen. Er ist perfekt für treue Fans und kleine Kinder, die sich gleich in Snoopy und den armen Charlie Brown verlieben - und neue Fans werden.

Das jüngste Buch über Charlie Brown heißt „Klotzkopf“.

Das jüngste Buch über Charlie Brown heißt „Klotzkopf“.

Vicki Scott schreibt und zeichnet „Peanuts“-Abenteuer.

Vicki Scott schreibt und zeichnet „Peanuts“-Abenteuer.

Woher stammen Charlie Brown, Snoopy und Co.?

Erfinder Der Zeichner Charles M. Schulz aus Minnesota (1922-2000) mit dem Spitznamen „Sparky“ hat ab 1950 in fast 18 000 Comics über sein kugelköpfiges Alter Ego Charlie Brown eigene Ängste verarbeitet. Sein reduzierter Stil war damals neu. Heute gehört der Sohn eines Deutschen und einer Norwegerin zu den meistbewunderten Comic-Ikonen und erfreut mit den Geschichten um Charlie Brown, Snoopy, Lucy, Linus & Co. Fans in aller Welt.

Neue Illustratorin Vicki Scott (52) vom „Peanuts“-Studioteam stammt aus einer Kleinstadt in Iowa, studierte Animation, arbeitete für Jim Davis („Garfield“), Steven Spielberg („Tiny Toons“), Brad Bird und Tim Burton („Family Dog“), das Zeichentrickstudio Hanna Barbera. Sie lebt in Kalifornien.

Neue Bücher Die Charles M. Schulz Creative Associates wachen über den Nachlass des Zeichners. Seit 2012 gibt es neue „Peanuts“-Bücher. Auf Deutsch erscheinen die im Ludwigsburger Cross Cult Verlag. Anlässlich des 65-Jährigen der „Peanuts“ und rechtzeitig zum 3D-Film, der am 24. Dezember in den Kinos startet, erschien jüngst der sechste Band „Klotzkopf“ (112 Seiten, 10 Euro). cli

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Erstellt:
19.12.2015, 08:30 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 21sec
zuletzt aktualisiert: 19.12.2015, 08:30 Uhr

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