Die Wand

Die Wand

Martina Gedeck spielt in dem surrealen Drama eine Frau, die sich allein in einer abgeriegelten Gebirgswelt zurechtfinden muss.

08.10.2012

Von Dorothee Hermann

Als Marlen Haushofers Roman „Die Wand? (1963 erschienen) in den achtziger Jahren von der Frauenbewegung wiederentdeckt wurde, war noch nicht abzusehen, dass sich der Rückzug ins Schweigen ? etwa bei Auszeiten im Kloster ? zum Hype entwickeln würde. Haushofers Protagonistin begibt sich jedoch nicht freiwillig in die Einsamkeit: Drei Städter fahren in die Berge, zwei verschwinden auf unerklärliche Weise, die dritte muss fortan als Gefangene hinter einer gläsernen Wand ihr Leben fristen. Weiter scheint ihr nichts zu geschehen, und dennoch liegt eine schwer greifbare Bedrohung über allem.

Der Film beginnt ohne dieses Vorwissen. Eine Frau (Martina Gedeck) mit kurz geschnittenem Haar und einem herben, fast nonnenähnlichen Gesicht ist dabei, beim Schein einer altmodischen Lampe ihre Geschichte aufzuschreiben. Dabei schaut sie so konzentriert, als würde sie sich selbst nachlauschen. Eine Stimme aus dem Off (ebenfalls Martina Gedeck) macht vernehmbar, was sie schreibt ? als wollte der Film jede Einstellung durch den literarischen Text beglaubigen.

Weil der Ton äußerst reduziert eingesetzt wird, bekommt die Protagonistin Raum, um zu tasten und zu schauen, und die Zuschauer mit ihr. Sie tauchen ein in die Bergwelt des Salzkammerguts, bei Sommerregen, krachenden Gewittern, leuchtenden Herbsttagen und funkelnden Nachthimmeln, bis zu monochromer winterlicher Pracht. Geerdet werden die grandiosen Szenerien durch die Mühe der (landwirtschaftlichen) Arbeiten, die die Protagonistin beherrschen muss, um zu überleben: melken, jagen, mähen, schlachten. Der Zweifel, woher sie das bloß alles kann, meldet sich nur ganz leise.

So erzählt der Film von einer Frau, die scheinbar in zwei Versionen existiert ? oder in diese Spaltung gezwungen wurde. Und die sich mit Hilfe von Rückblenden (schreibend, erinnernd) zwischen diesen Spaltungen hin und herbewegt. Ihr früheres Ich ist eine etwas puppenhafte Städterin im weißen Kleidchen, mit Perlohrsteckern, Klackerschuhen und wehendem, langen Haar. Mit einem befreundeten Paar brettert sie das Felsensträßchen herab. Wie das rote Cabrio mit der penetranten Gute-Laune-Musik durch die Gebirgs-Einsamkeit knallt, hat etwas fast Gewaltsames. Das quasi überdrehte Auto ist ein Fremdkörper, der schier überdeutlich symbolisiert, dass es mit diesen dreien kein gutes Ende nehmen kann.

Schließlich zeigt sich ganz offen, was die Städterin vollends in die Rolle der asketischen Gebirgsbewohnerin getrieben hat. Dass es nicht der tägliche Überlebenskampf in der absoluten Einsamkeit ist, dürfte nicht nur Zuschauer die das Buch noch nicht kennen, mit voller Wucht erwischen.

Großartige Ein-Frau-Show hält die Spannung in der Berg-Einsamkeit.

Die Wand