Thomas Unger: Zurück im Leben

Die Tübinger Basketball-Legende Thomas Unger sitzt nach einem Radunfall im Rollstuhl

Dem Tod sah Thomas Unger ins Auge. „In dieser einen Nacht wollte ich nicht mehr“, erinnert sich der 57-Jährige. Das war im Juni 2015, unmittelbar nach seinem Radunfall, im Krankenhaus von Barcelona. Er habe das empfunden, als sei „der Geist aus dem Körper“ gegangen. Sein Sohn Pirmin, der aus den USA anflog und nachts das Bett hütete, habe seine Unruhe bemerkt und gefragt: „Was ist los, Papa?“ Thomas Unger: „Das hat mich ins Leben zurückgeholt!“

22.07.2017

Von Moritz Hagemann

Thomas Unger bei der Handbike-Challenge des Erbe-Laufs 2016. Bild: Ulmer

Thomas Unger bei der Handbike-Challenge des Erbe-Laufs 2016. Bild: Ulmer

Unger war vor knapp zwei Jahren an der Costa Brava mit dem Fahrrad gestürzt und anschließend gegen ein Auto gekracht. Er trug auch einen Helm. Erinnerungen daran hat er kaum mehr. Sehr wohl aber an die Zeit, die er „in einer anderen Welt“ verbracht hat, als er zehn Tage in Barcelona im Koma lag: „Ich hatte so konkrete Fantasien, dachte schon, dass es vorbei wäre.“ Aber Unger schaffte den Sprung zurück ins Leben. „Ich habe in meinem Leben schon viele gute Dinge erlebt, das treibt dich dann an“, sagt er.

Zwölf Tage blieb er in Barcelona, anschließend sieben Monate in der Tübinger BG-Klinik und zwei weitere in der Reha in Bad Wildberg. Ob es ihm nicht schwer fällt, über alles zu sprechen? „Nein“, sagt Unger, „das ist mein Leben, da muss ich drüber reden können.“ Zwei Mal schon besuchte er auch die Unfallstelle in Spanien. „Ich überlege jedes Mal, was genau war – aber ich komme nicht darauf.“ Er könne sich an eine Sequenz erinnern, als er am Boden lag und „Wasser, Wasser“ gerufen habe – mehr nicht.

Dann gewann er den Kampf um das Leben und kämpfte sich auch zurück in seinen Beruf als Lehrer an der Kaufmännischen Schule in Nagold. Seit diesem Frühjahr arbeitet Unger dort wieder. Das gebe ihm Kraft, „die Kollegen haben mich auch immer toll unterstützt“, sagt er. Genau wie die Familie um Ehefrau Karin, die „eine wahnsinnige Unterstützung“ ist, weil sie immer positiv bleibt und stets nach vorne blicke.

Was passiert sei, habe er bewusst erst wahrgenommen, als er in Tübingen auf eine normale Station verlegt wurde: „Das sieht man dann vor allem an den Blicken der anderen“, sagt Unger. So viele Freunde hätten ihn in dieser Zeit besucht, teils auch zu festen Zeiten, damit immer jemand da war. Doch die erste Zeit sei schwer gewesen: „Ich hab‘ mich krank gefühlt und mich erschrocken, was alles passiert ist.“ Weite Teile seines Körpers sind gelähmt. Unger begann, sich mit seinem Leben im Rollstuhl abzufinden. Das sei vor allem dann schwer, wenn er Kleinigkeiten bewältigen, mal etwas vom Boden aufheben muss. „Denn die großen Dinge, die sind vorhersehbar.“

Schon als er noch in der BG-Klinik war, nutzte Unger jede Möglichkeit, um das Training des Basketball-Damenteams des SV 03 Tübingen leiten zu können. „Da haben mich viele für verrückt erklärt“, sagt er, „aber die Mädels waren immer ein Anker für mich.“ Im Krankenhaus bereitete Unger auch schon wieder die ersten Stundenpläne für die Schule vor.

Nach der Entlassung aus der Klinik wollten Unger und seine Frau ihr Haus barrierefrei umbauen lassen. „Aber das wäre eine unglaubliche finanzielle Belastung gewesen“, erzählt er. Die Architektin habe davon abgeraten, die Familie zog zunächst in den Hagellocher Weg in die Tübinger Weststadt. Weil die Wohnung aber klein war, folgte jüngst im Mai der nächste Umzug. Jetzt wohnen die Ungers im Sidler-Areal, unweit des Stadtzentrums. Auch das Auto wurde so umgebaut, dass Unger wieder selbst fahren kann. Wenn seine Geduld mitspielt, denn auch seine Hände sind in ihrer Bewegung eingeschränkt.

Jeden Tag wolle er „mindestens ein, zwei Stunden Fahrrad“ fahren. Seine Stammstrecke führt durch das Ammertal, vorbei an der Wurmlinger Kapelle. „Das ist eine Zeit, die ich einfach genieße.“ Weil die Armkraft nicht reicht, hat er an seinem Handbike elektronische Unterstützung. Und einen Trainingseffekt: Im Rahmen des Tübinger Stadtlaufs hat er sich wieder für die Handbike-Challenge angemeldet: „Ich will unbedingt eine Runde schaffen, das ist mein Ziel.“

Zum Abschluss des Gespräches sagt Thomas Unger noch einmal Sätze, die so vielleicht nicht zu erwarten waren. Etwa: „Ich sehe das, was passiert ist, auch positiv.“ Er habe schließlich ganz neue Einblicke auf das Leben bekommen und sei in einer Perspektive, „die man gar nicht transportieren kann; man muss es einfach erleben, um das beschreiben zu können.“ Durch sein neues Leben sehe er auch die Stadt mit anderen Augen. „Das ist kein Zuckerschlecken für Rollstuhlfahrer“, sagt Unger, der in Karlsruhe geboren und 1983 nach Tübingen gekommen ist.

Zu seinen aktiven Zeiten als Basketballer galt Spielmacher Unger schon als Kämpfernatur. Den größten Kampf seines Lebens hat er im Juni 2015 auch gewonnen. Er ist jetzt 57 Jahre alt und sagt: „Das werden auch noch viel mehr. Ich schaff’s noch lange!“

Unger vor seinem Unfall. Bild: Ulmer

Unger vor seinem Unfall. Bild: Ulmer

Eine Frohnatur bei den Tübinger Basketballern

Wer sich bei den Basketballern der Walter Tigers und des SV 03 Tübingen umhört, der wird niemanden finden, der schlecht über Thomas Unger spricht. Der heute 57-Jährige war 1992 Kapitän der Tübinger Mannschaft, die zum ersten Mal in die Basketball-Bundesliga aufgestiegen war. Unger trainiert seit Jahren das Frauen-Team des Klubs und ist Abteilungsleiter. In der sportlich schweren Zeit unter Trainer Igor Perovic gab Unger auch dessen Co-Trainer in der Bundesliga. „Er ist ein Kind vom Verein“, sagt Tobias Fischer, Pressesprecher der Tübinger Tigers. Der erinnert sich noch, wie Ungers Unfall im Verein aufgenommen wurde: „Da hat jeder geweint, schlimmer ging es nicht mehr!“ Jetzt, erzählt Fischer, sorge Unger stets für gute Stimmung: „Schon, wenn er vor der Geschäftsstelle steht und schreit, dass er da ist...“

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Erstellt:
22.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2017, 01:00 Uhr

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