Jobben gegen die Langeweile

Die Stadt Tübingen bietet Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber

Mohammed Mustafa Mohammed sitzt am Schreibtisch in der Tübinger Stadtbücherei und gibt Signaturen am Computer ein. Vor ihm auf dem Schreibtisch stapeln sich die Bücher, die er noch zu bekleben hat. An drei Tagen in der Woche arbeitet er jeweils vier Stunden dort – für 1,05 Euro pro Stunde. Der Job ist eine der 20 Arbeitsgelegenheiten, die die Stadtverwaltung Flüchtlingen bietet.

31.05.2016

Von SABINE LOHR

Kurasch Khodabakhshmaj (links) und Musa Coker kümmern sich bei der Tübinger Feuerwehr, darum, dass die Einsatzfahrzeuge sauber sind. Für die beiden Flüchtlinge ist die Arbeitsgelegenheit gut gegen die Langeweile. Bild: Sommer

Kurasch Khodabakhshmaj (links) und Musa Coker kümmern sich bei der Tübinger Feuerwehr, darum, dass die Einsatzfahrzeuge sauber sind. Für die beiden Flüchtlinge ist die Arbeitsgelegenheit gut gegen die Langeweile. Bild: Sommer

Tübingen. Im nordsyrischen Qamischli hat Mohammed Mustafa Mohammed noch vor einem Jahr Handys verkauft. Dann floh er zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern über die Balkanroute nach Deutschland – so wie es Tausende Flüchtlinge im vergangenen Sommer taten. Vor einem halben Jahr kamen Mohammed, seine Frau, die damals vierjährige Tochter und der einjährige Sohn in Deutschland an, seit vier Monaten sind sie in Tübingen. Sie leben in einer Unterkunft des Landratsamts im Hagellocher Weg und träumen nicht nur von einer besseren Zukunft, sondern arbeiten auch daran.

Der 33-jährige Mohammad weiß, dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist, dass es ohne Deutsch einfach nicht geht in Deutschland. Außerdem ist er nicht der Typ, der rumsitzt und wartet, bis sich alle Probleme von selbst lösen. Er wollte zu tun haben. Also schaute er sich um und entdeckte die Stadtbücherei. Weil er eben erst mit dem Sprachkurs angefangen hatte, bat er eine ehrenamtliche Betreuerin um Vermittlung. Seit Anfang Mai jobbt er nun in der Bücherei und ist glücklich dort: „Es ist gut, um deutsch zu hören und zu sprechen“, sagt er. Und dass er sich wohl fühlt.

Bibliothekar Michael Müller kümmert sich um ihn, weist ihn ein und hilft Mohammed, wenn der einmal nicht weiter weiß. „Er macht es super“, sagt Müller, „vor allem macht er kaum Fehler.“ Und seine Chefin Karen Scherer will Mohammed am liebsten behalten: „Er ist sehr bemüht und so nett.“ Bleiben darf er aber nur ein Jahr in der Bücherei, das ist die gesetzlich festgelegte Grenze für eine Arbeitsgelegenheit.

Höchstens 80 Stunden im Monat dürfen Asylbewerber eine derartige Arbeitsgelegenheit ausüben. Auf so viele Stunden kommt aber kaum jemand, weil ja die Sprachkurse besucht werden müssen. Und es kommt auch längst nicht jeder Job in Frage. Die Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber müssen bei staatlichen, kommunalen oder gemeinnützigen Trägern sein und dürfen keine Stellen ersetzen. Es muss sich also um Arbeit handeln, die sonst nicht oder nur nebenher erledigt wird.

Wie bei der Feuerwehr. Dort kümmern sich der 21-jährige Musa Coker aus Gambia und der 31-jährige Kurasch Khodabakhshmaj aus dem Iran seit Anfang Mai darum, dass die Einsatzfahrzeuge immer tipptopp aussehen. „Das entlastet uns sehr“, sagt Thomas Löhr, zuständig für Ausbildung und Technik bei der Feuerwehr. Bisher mussten die Feuerwehrleute die 40 Autos nebenbei putzen – jetzt erledigen das die beiden Asylbewerber. „Sie machen das richtig gut“, lobt Löhr. Und sie sind auch für anderes gut zu gebrauchen: Khodabakhshmaj etwa durfte neulich mit nach Bruchsal, um dort eine Tafel abzubauen und sie nach Tübingen zu transportieren.

Der Iraner ist gelernter Goldschmied und seit einem halben Jahr in Deutschland. „Es war so langweilig, immer nur herumzusitzen“, sagt er auf Englisch. Darum hat er die für ihn zuständige Sozialarbeiterin vom Landratsamt gefragt, ob er nicht irgendwas arbeiten könne. Sie hat ihn dann an die Feuerwehr vermittelt. Seither ist ihm nicht mehr langweilig: Vormittags arbeitet er vier Stunden lang, dann geht er in seinen Sprachkurs. Er hofft, dass er in Deutschland bleiben darf. Dann will er eine Ausbildung zum Goldschmied machen und wieder in seinem alten Beruf arbeiten.

So weit denkt Coker noch nicht. Er ist seit einem Jahr und acht Monaten hier und will zunächst seinen Sprachkurs beenden. Auch ihn quälte die Langeweile. „Immer nur herumsitzen“, das war nichts für ihn. Darum ist es ihm auch egal, dass er nur 1,05 Euro für die Stunde bekommt. „Ich helfe gern“, sagt er. Zumal bei der Feuerwehr. „Das sind so schöne Autos.“ Die Feuerwehrhosen und -shirts tun ihr Übriges, dass sich die beiden Flüchtlinge dazugehörig fühlen. Und auch Löhr sagt: „Im Kollegenkreis werden sie gut aufgenommen.“

Mohammed Mustafa Mohammed hat eine Arbeitsgelegenheit in der Stadtbücherei – zum Deutsch lernen und gegen die Langeweile. Bild: Faden

Mohammed Mustafa Mohammed hat eine Arbeitsgelegenheit in der Stadtbücherei – zum Deutsch lernen und gegen die Langeweile. Bild: Faden

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Erstellt:
31.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec
zuletzt aktualisiert: 31.05.2016, 01:00 Uhr

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