Michael Sturm über den Wandel seiner Meinung über Thomas D.

Die Seele ist hier, um zu reifen und zu wachsen

Am 28. August 1992 borgte ich mir das Busle aus, mit dem ich als Zivi beim Roten Kreuz Waiblingen normalerweise Kinder chauffierte, fuhr nach Stuttgart und parkte direkt vor dem „Palast der Republik“, einem beliebten Treffpunkt für Leute, die sich cool fanden.

24.07.2017

Von Michael Sturm

Thomas D. beim Fanta-4-Konzert in Tübingen. Bild: Metz

Thomas D. beim Fanta-4-Konzert in Tübingen. Bild: Metz

Man begrüßte sich gedehnt-nasal: „Was geht?!“ Ein angemessener Auftritt für den Sänger einer aufstrebenden Rockband, dachte ich.

Pustekuchen. Minuten später erfuhr ich, wie es wirklich geht: Eine Stretch-Cabrio-Limousine in schreiendem Pink rollte langsam heran. Sie hielt genau zwischen dem „Palast“ und der Szenekneipe „Das Unbekannte Tier“ gegenüber auf der anderen Straßenseite, wo, wie ich später erfuhr, eine Platten-Release-Party gefeiert wurde. Ich war fassungslos. Die Vier, die aus der Limo stolperten, hatten mir ganz klar die Schau gestohlen. Ich wandte mich Stephen zu, dem Soundmann bei Konzerten meiner Band: „Was ist das?“ Stephen sah mich entgeistert an, so wie man jemanden anschaut, der überhaupt gar keine Ahnung hat: „Das sind die Fantastischen Vier!“

Ich hatte von ihnen gehört. Stuttgarter Buben in unserem Alter, die auf Rapper machten. Eine Idee, die mich nicht überzeugte. Genauso wenig im Übrigen, wie ein paar Tage später das Beutelsbacher Freibad früher verlassen zu müssen, damit die Büble dort auftreten konnten. Sie hatten gerade ein furchtbares Stück namens „Die da?!“ draußen. Am wenigsten mochte ich Hausmeister Thomas D., den Typ mit blöder Brille, debilem Dauergrinsen und unerträglichem Honoratiorenschwäbisch. Das ging einfach nicht!

Heute schaue ich milde zurück. „Der Tag am Meer“ versöhnte mich mit den Fantastischen Vier. Später haute mich Thomas D. mit „Rückenwind“ um, das die SPD später zu ihrer Wahlkampfhymne machte. Im Lauf der Jahre wuchs er zum Sprecher meiner Generation. Ich bin dankbar, dass er die Rolle angenommen hat und immer wieder Dinge anspricht, die, aus seiner Sicht, in unserer Gesellschaft und in der Welt falsch laufen.

Beim Konzert der Fantastischen Vier am Freitag in den Tübinger Mühlbachäckern bezeichnete er den Selbstmord von Linkin-Park-Sänger Chester Bennington am Vortag als einen großen Verlust. Dann fuhr Thomas D. fort: „Wer im Leben strauchelt und denkt, es geht nicht weiter – glaubt daran! Die Seele ist hier, um zu reifen und zu wachsen, auch wenn es weh tut. Am Ende werdet ihr hoffentlich wissen, wozu es gut war.“ Weise Worte, die hoffentlich diejenigen erreichen, die sie dringend nötig haben. Danke Thomas.

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Erstellt:
24.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 06sec
zuletzt aktualisiert: 24.07.2017, 01:00 Uhr

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