Brandschutz · Kahlschlag hinterm Eingang

Die Osterhasen konnten ihre Nester neben der Rolltreppe im „Markt am Nonnenhaus“ nicht beziehen

Vor genau einem Jahr wimmelte es im Eingangsbereich des „Marktes am Nonnenhaus“ noch von Osterhasen, Pappeiern und anderen Saisonartikeln. Nach der Vorgabe der Stuttgarter GVV Hausverwaltung ist damit Schluss. Kurt Glank, Inhaber von Schreibwaren „Scriptum“, musste den Weg freiräumen. Andernfalls hätte er sich eine fristlose Kündigung eingehandelt. Glank sagt, das wäre nicht die erste Androhung dieser Art.

28.03.2017

Von Ulla Steuernagel

Um Silvester nahmen früher die Raketen neben der Rolltreppe Aufstellung. Sie wird man hier sicher nicht mehr finden. Archivbild: Sommer

Um Silvester nahmen früher die Raketen neben der Rolltreppe Aufstellung. Sie wird man hier sicher nicht mehr finden. Archivbild: Sommer

Auch die Kuchenvitrine des Eiscafés San Marco musste weichen. Vor der Osteria werden keine Nudeln und kein Gebäck mehr ausgestellt, nur minimal ragt der Tisch der Ostereier-Bemalerin noch in den Gang. Vor der Post, ebenfalls Teil der Glankschen Ladenfläche, standen einmal Tische, die nun auch verschwunden sind.

Die Einkaufswagen im Untergeschoss können weiterhin vorm Edeka an der Kette liegen, auch der dm-Markt im ersten Stock bekam keine Beanstandungen. Die meiste Außenfläche hatte Kurt Glank mit seinen Papierwaren und Dekoartikeln belegt. Mit mehr als 1200 Quadratmetern hält er nach Edeka den zweitgrößten Ladenanteil im Haus.

Erst Mitte Februar sei er von der Hausverwaltung mit der Auflage konfrontiert worden, dass bis 28. Februar alles weg sein müsse. Nicht nur die Kürze dieses Ultimatums, auch die Intransparenz der Entscheidung ärgert den Kaufmann. „Wie die entsprechenden Vorschriften lauten, das behalten die für sich.“ Sein Mietvertrag enthalte immerhin die Zusicherung, er könne auch 50 Zentimeter vor seinen Läden als Ausstellungsfläche nutzen. Nun müsse er aber auch auf diese Auslagen verzichten. In seinem Fall bedeute das eine Einbuße von rund 60 Quadratmetern. Der Rückzug in die eigenen Räume mache sich bei ihm nun mit rund 20 Prozent Umsatzrückgang bemerkbar: „hart, aber nicht tödlich“, so Glank. Die große Freifläche wirke nun nicht besonders einladend: „Das Ding sieht aus wie ein nicht belegtes Altersheim“, findet der Händler. Und setzt trocken hinzu: „Bisher hatten wir immer nur Wasser- und niemals Feuerschäden.“

Auch andere Händler werden von ihrer Kundschaft nun gefragt, ob das Haus geschlossen sei oder man das Geschäft aufgeben wolle. Dabei verhält es sich eigentlich genau anders herum: Freigehalten werden die Flächen, damit möglichst viele Passanten sicher durch die Mall kommen.

Die Aufforderung zum Räumen der Fluchtwege geht auf eine Brandverhütungsschau im letzten Juli zurück. Mit dabei waren ein städtischer Sachbearbeiter, ein externer Gutachter und der Hausverwalter. Gewerbegebäude müssen alle fünf Jahre überprüft werden. An erster Stelle beanstandete der Gutachter die Kartenständer des Schreibwaren- und Zeitschriftenhandels neben der Rolltreppe, so berichtet Michael Beier, Leiter des Tübinger Baurechtsamtes. Im Brandfall könnten sie von flüchtenden Menschen umgerissen werden und den Weg versperren. Für den Gutachter war der Fall eindeutig: „Die müssen weg!“ Auch die Verkaufstische im Eingangsbereich mit ihrem leicht entzündlichen Material könnten bei einer Panik zu Stolperfallen werden. Im ganzen Haus habe das Ausstellen der Ware auf den Fluren und Fluchtwegen mittlerweile gefährliche Ausmaße angenommen, findet auch Beier.

So musste der Schuster Mahsuni Dogan die Gürtel, Taschen und Einlegesohlen entfernen, die er direkt an der Rolltreppe aufgebaut hatte. Für ihn ist klar, das ganze Problem wäre nicht entstanden, wenn Schreibwarenhändler Glank „vernünftig gewesen wäre und nicht alles blockiert hätte“. Nicht nur im Erdgeschoss, auch im ersten Stock seien die Kunden, wenn sie von der Rolltreppe kamen, beim Um-die Ecke-biegen geradezu an den Ständern hängengeblieben.

Dogan ist seit 19 Jahren im Haus, und er ist in der Regel mit dem Standort zufrieden. Noch zufriedener wäre er allerdings, wenn die Nebenkosten nicht so hoch wären, fürs ganze Haus ist im Jahr eine halbe Million Euro fällig, Dogans Anteil beträgt rund 4500 Euro. Umso mehr nervt ihn ein Mangel an Ordnung und Sauberkeit. „Nirgendwo sind Abfalleimer“, kritisiert er.

Die finanziellen Einbußen, die er erleidet, seit er seine Ware nicht mehr im Gang stellen kann, seien für ihn überschaubar. Er hat seine Stammkundschaft und die wisse, wo er zu finden ist, betont der Schuster mit angeschlossenem Schlüsseldienst. Er bedauert, dass die Geschäftsleute im Nonnenmarkt nicht besser zusammenhalten. „Ich habe meine Augen und Ohren offen“, sagt er. Warum nur gönne der eine dem anderen nichts? Zum Beispiel gebe es Ärger, weil die Bäckerei Gehr ihre Tische an der Rolltreppe stehen lassen kann, während den Gastronomen gegenüber dies verboten ist. „Da bin ich noch am Eruieren“, so Gerd Foschiatti von der Stuttgarter GVV. Baurechtsamtschef Beier sagt, der Platz vor der Bäckerei sei kein Fluchtweg, es werde derzeit noch ein Änderungsantrag zum Mietvertrag geprüft.

Die Mieter hätten nicht erst kurz vor Ablauf des städtischen Ultimatums davon erfahren, dass sie die Fläche vor ihren Läden freiräumen müssen, so betont Foschiatti. Dabei ist herauszuhören, dass das Klima im Haus nicht gerade harmonisch ist. Seit zwei Jahren seien die Mieter über die Brandschutzmaßnahmen informiert. Foschiatti hat es nun auch satt: Er habe schon drei Strafmandate der Stadt in Höhe von 8000 Euro begleichen müssen.

Außerdem sei immer klar gewesen, dass kein entzündliches Material wie Papier und erst recht keine Feuerwerkskörper in den Gängen ausliegen durften. Die Leere hinterm Haupteingang erscheint ihm kein Problem: „Gucken Sie mal, wie eng der Abstand ist, wenn zwei Kinderwagen aneinander vorbei müssen.“

Im Nonnenhaus mussten die Verkaufsregale vom Schreibwarengeschäft auf dem Flur entfernt werden. Bild: Metz

Im Nonnenhaus mussten die Verkaufsregale vom Schreibwarengeschäft auf dem Flur entfernt werden. Bild: Metz

Ein eigenes Brandschutz-Konzept

Jedes Gebäude hat sein eigenes Brandschutz-Konzept, so Michael Beier vom Baurechtsamt der Stadt. So könne man den Nonnenmarkt nicht mit dem Modehaus Zinser vergleichen, das eben keine so breiten Rettungswege vorhalten muss wie der Nonnenmarkt. Bei einer Brandverhütungsschau würden vielerlei Vorkehrungen für den Brandfall geprüft. So werde etwa eine weniger leistungsstarke Sprinkleranlage durch breitere Fluchtwege kompensiert. Die vorgeschriebene Breite von zwei Metern müsse dann überschritten werden.

Zum Artikel

Erstellt:
28.03.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 28.03.2017, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!