Petra Robbin ist eine Mutmacherin

Die Mutter von zwei Kindern mit einer seltenen Behinderung will anderen Eltern Mut machen.

Petra Robbin ist Mutter von zwei Kindern mit einer sehr seltenen Behinderung. Nach der ersten Verzweiflung gründete die Pfäffingerin einen Selbsthilfeverein. Sie will anderen Eltern Mut machen.

21.10.2016

Von Uschi Hahn

Eine Powerfrau am PC: Petra Robbin ließ sich von der Krankheit ihrer zwei Kinder nicht unterkriegen. Bild: Sommer

Eine Powerfrau am PC: Petra Robbin ließ sich von der Krankheit ihrer zwei Kinder nicht unterkriegen. Bild: Sommer

Warum ich? Natürlich stellte sich Petra Robbin diese Frage, als sie nach der Geburt ihres Sohnes Leo erfuhr, dass auch er nie gesund sein wird. Ihre Tochter Lisa war damals, im Jahr 1998, schon sechs Jahre alt und geistig und körperlich sehr zurückgeblieben. Woran sie genau litt, konnte den Eltern trotz vieler Untersuchungen kein Arzt sagen. Ganz unterschiedliche Diagnosen schwirrten im Raum. „Aber wir hatten uns damit abgefunden, dass sie behindert war und nahmen alle Fördermöglichkeiten wahr“, sagt Petra Robbin über die Zeit vor Leos Geburt.

Weil nicht auszuschließen war, dass Lisas Behinderung ihre Ursache in der schweren Geburt des Mädchens hatte, kam Leo in Reutlingen per Kaiserschnitt zur Welt. Auf den vagen Verdacht eines Arztes wurde der gesund scheinende Junge auf verschiedene Stoffwechselkrankheiten untersucht. Und dann war klar: Leo hat das Smith-Lemli-Opitz Syndrom (siehe „Ein Mangel an Cholesterin“).

Mit dieser Diagnose war auch die Ursache von Lisas Behinderung geklärt. „Ich und mein Mann“, erklärt Petra Robbin, „wir sind beide Überträger eines Defekts auf dem elften Gen.“ Ein Fehler im Erbgut, der wie die 55-Jährige heute weiß, „autosomal rezessiv vererbt wird“. Weil jedes Merkmal von zwei Genen bestimmt wird, reicht ein gesundes Gen aus, um nicht zu erkranken. Wenn ein Kind aber von jedem Elternteil das jeweils defekte Gen erbt, erkrankt es an dem SLO-Syndrom. „Die Chance liegt bei 25 Prozent“, sagt Robbin. „Die Karten werden jedes Mal neu gemischt.“

Vor Leos Geburt hatten die Eltern davon keine Ahnung. Heute weiß Petra Robbin so ziemlich alles über die Krankheit. Am Anfang war das anders. Sie fühlte sich hilflos. War traurig. Auch wütend. „Natürlich hadert man“, sagt sie.

Erst als Robbin beim Kindernetzwerk Aschaffenburg eine erste ausführliche Beratung und Kontaktadressen von anderen betroffenen Eltern bekam, wurde es besser. „Das war damals meine Rettung“, sagt Robbin und lächelt. Ein Jahr nach Leos Geburt organisierte sie in Tübingen das erste Treffen von zwölf Familien mit SLO-Kindern aus Deutschland. Unterstützung hatte sie vom damaligen Chef der Reutlinger Kinderklinik Prof. Friedrich Trefz. „Der hat wie auf eine lahme Kuh auf mich eingeredet, was mit Selbsthilfe zu machen“, erinnert sich Robbin. Sie ist ihm heute noch dankbar dafür. Denn offenbar konnte er Robbin gut einschätzen. „Die einen verkriechen sich. Die anderen werden hyperaktiv so wie ich“, sagt sie selbstironisch. Und wieder liegt ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

Ein Jahr nach dem ersten Treffen gründete Petra Robbin den Selbsthilfeverein SLO Deutschland. Sie leitet ihn bis heute. Derzeit sind 53 Familien mit insgesamt 60 erkrankten Kindern in dem Verein organisiert. Die jährlichen Treffen im November dienen nicht nur dem Austausch untereinander. Auch die wenigen Ärzte, die die seltene Krankheit erforschen, beteiligen sich und nutzen die Zusammenkünfte zur medizinischen Fortbildung. „Noch immer kommen Eltern mit späten Diagnosen zu uns“, sagt Robbin. Wichtig sind auch die Informationen über ganz praktische Hilfsmöglichkeiten und soziale Unterstützung. „Was Tipps angeht, sind die Selbsthilfegruppen einfach genial“, findet Robbin. Das reicht bis zum Hinweis, wo es die Kloschlüssel für Behindertentoiletten auf der Autobahn gibt.

Von der anfänglichen Hilflosigkeit ist bei Petra Robbin nichts mehr zu spüren. Sie kann nicht nur gut erklären, was der defekte Cholesterinstoffwechsel für die Kinder gesundheitlich bedeutet. Sie spricht auch ganz offen darüber, wie belastend das Leben mit zwei Kindern ist, die sich eben nicht normal entwickeln. Oft kamen auch der Mutter die Tränen, wenn ihre Kinder auf der Straße weinten, weil sie nicht begriffen, weshalb andere Kinder sie nicht mitspielen ließen. Lisa sei von Beginn an sehr in sich gekehrt gewesen, berichtet die Mutter. Leo dagegen war „verhaltensauffällig“, andere Kinder fürchteten ihn. „Sie haben schwer Anschluss gefunden“, sagt Robbin. „Das war schwer, das zu sehen.“

Heute sind Lisa und Leo 25 und 18 Jahre alt. Die Tochter lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft und arbeitet in einer Behindertenwerkstatt in Gomaringen. Auch der Sohn lebt im Internat. Doch an den Wochenenden und in den Ferien sind die Kinder immer zuhause in Pfäffingen.

Obwohl Robbin inzwischen nicht mehr „Vollzeitmutter“ ist, ist sie doch „gut ausgelastet“: Sie betreibt in Pfäffingen eine Festraumvermietung, organisiert regelmäßig einen Weinbesen, bei dem das ausgeschenkt wird, was im Weinberg ihres Mannes in Unterjesingen wächst. Längst hat sie auch Kontakte zu SLO-Betroffenen in anderen Ländern geknüpft, wird als sachverständige Mutter zu Kongressen und Tagungen eingeladen.

Und sie hat ein Buch über das SLO-Syndrom herausgegeben. In dem Ratgeber für Eltern und Ärzte steht nicht nur alles über die noch immer weitgehend unbekannte Krankheit. Es finden sich auch Erfahrungsberichte von Eltern. Für Petra Robbin ist es vor allem ein „Mutmachbuch“. Schließlich haben nicht alle Eltern behinderter Kinder so viel Zuversicht wie die Powerfrau aus Pfäffingen.

Ein Mangel an Cholesterin

Das Smith-Lemli-Opitz Syndrom, abgekürzt SLO-Syndrom, ist eine sehr seltene genetische Erkrankung, Sie ist nach den drei Wissenschaftlern David Smith, Luc Lemli und John Opitz benannt, die sie im Jahr 1964 zum ersten Mal beschrieben haben.

Erst seit 1993 ist bekannt, dass Kinder, die an dem SLO-Syndrom leiden, kein körpereigenes Cholesterin herstellen können. Dieser lebensnotwendige Stoff, den der Körper normalerweise zu 80 Prozent selbst produziert, ist zum Aufbau von Zellmembranen, zur Nervenumhüllung und zur Bildung von bestimmten Hormonen und Vitaminen nötig. Die Erbkrankheit wirkt sich schon im Mutterleib aus und kann zu Fehlbildungen an Organen und Gliedmaßen führen. Eine geistige Behinderung liegt bei allen SLO-Betroffenen vor.

Die Krankheit kann inzwischen behandelt werden, ist aber nicht heilbar.

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Erstellt:
21.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 51sec
zuletzt aktualisiert: 21.10.2016, 01:00 Uhr

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