Fußball

„Die Konkurrenz ist härter geworden“

Thomas Hitzlsperger spricht über den VfB Stuttgart, das Phänomen Podolski, den besonderen Wert, den der scheidende Torjäger für die Nationalmannschaft hatte, und die Zukunft der Nationalelf.

25.03.2017

Von ARMIN GRASMUCK

Der frühere Profi Thomas Hitzlsperger war in der Nationalelf aktiv und wurde Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart. Foto: Imago

Der frühere Profi Thomas Hitzlsperger war in der Nationalelf aktiv und wurde Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart. Foto: Imago

Stuttgart. Dieser Abend hat auch Thomas Hitzlsperger elektrisiert. Stuttgarts Meisterspieler saß beim Abschiedsspiel von Lukas Podolski auf der Ehrentribüne. Nach der Partie traf er den ehemaligen Mitspieler als Gast im Fernsehstudio des ARD Sportschau Club. Im Interview berichtet er aus dem Innenleben der Nationalmannschaft – und er erinnert sich an unvergessliche VfB-Zeiten.

Wie haben Sie Podolskis letzten Auftritt empfunden?

Thomas Hitzlsperger: Er ist wunschgemäß verlaufen. Alle haben Lukas so einen Abschied aus der Nationalmannschaft gewünscht. Es war umso schöner, dass er dann noch traf und die Partie entschied. Ich habe ihn nach dem Spiel noch getroffen. Es war bewegend, weil er so ein großer Sympathieträger ist.

Hat es Sie überrascht, dass Podolski am Ende seiner Karriere in der Nationalmannschaft noch einmal so gefeiert wurde?

Keineswegs. Er war immer einer der beliebtesten Spieler. Er hat in den 13 Jahren für Deutschland alles gegeben und eine Menge erreicht. Und jedem war klar: Poldi wird fehlen, wenn er aufhört.

Sie haben ihn in der Nationalmannschaft kennengelernt. Warum war Podolski gerade für die Mitspieler besonders wertvoll?

Er hat in jeder Trainingseinheit und in jedem Spiel alles gegeben und hat das Team mit seiner guten Laune oft angesteckt. Von ihm habe ich nie gehört, dass er mal länger unterwegs war oder über die Stränge schlug. Er ist ein Vorbild. Dazu kommt sein Humor. Ich denke, diese positive Energie hilft ihm auch, Niederlagen schneller zu verarbeiten, sich der nächsten Aufgabe zuzuwenden.

Als herausragendes Ereignis seiner Karriere hat Podolski die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland bezeichnet. Wie haben Sie den Trubel, der damals gerade um ihn und Bastian Schweinsteiger herrschte, in nächster Nähe erlebt?

Es war ein riesiges Erlebnis, und die beiden drückten dem Turnier ihren Stempel auf. Ja, es ging vor allem um Poldi und Schweini, um die Tatsache, dass sich beide emanzipiert und super entwickelt hatten. Sie prägten die Mannschaft schon damals. Danach ging jeder seinen eigenen Weg. Sie waren noch längere Zeit auf allerhöchstem Niveau sehr erfolgreich, deswegen nehmen sie im deutschen Fußball eine bedeutende Rolle ein.

Podolski hat sich mit 31 Jahren von der Nationalmannschaft verabschiedet. Sie hängten etwa im gleichen Alter die Fußballschuhe an den Nagel. Wie spürten Sie, dass die Zeit reif ist, aufzuhören?

Die Signale kamen von meinem Körper. Ich wollte ihn nicht weiter der enormen Belastung aussetzen, sondern auch in zehn oder zwanzig Jahren noch problemlos gehen oder laufen können. Ich denke, Poldi hat noch viel Power, weil er selten verletzt war. Er wird in der japanischen Liga, in die er im Sommer wechselt, sicher noch eine Weile spielen. Die Belastung mit der Nationalmannschaft wäre aber wohl zu groß geworden, deswegen war es richtig, jetzt den Schlussstrich zu ziehen.

Bundestrainer Joachim Löw steht nach dem Abschied der langjährigen Stammkräfte Lahm, Schweinsteiger und Podolski vor der schweren Aufgabe, die Mannschaft neu zu strukturieren. Wo muss er ansetzen?

Er hat eine Reihe von erfahrenen Spielern wie Neuer, Hummels Boateng, Kroos, Khedira und Müller. Sie prägten bereits in den vergangenen Jahren das Spiel der Mannschaft und sie sind das Grundgerüst der neuen Mannschaft. Dazu kommen junge Talente, die sich gut mit den erfahrenen Spielern ergänzen. Das Potenzial, den WM-Titel zu verteidigen, ist auf jeden Fall vorhanden.

Welche Positionen sind auf dem Spielfeld noch vakant?

Es gibt nur wenige Posten, die nicht perfekt besetzt sind. Dazu zähle ich die Position des Rechtsverteidigers, die nach dem Abgang von Lahm neu zu besetzen ist. Die EM hat gezeigt, dass wir im Sturm derzeit kein Überangebot haben. Mario Gomez ist sicher ein Top-Kandidat, wenn er seine Bestform erreicht.

Wie beurteilen Sie den ersten Auftritt von Timo Werner in der Nationalmannschaft?

Es ist zuallererst die Belohnung für die Leistungen, die er in der Bundesliga gezeigt hat. Aber nach einem Testspiel, es war ja auch kein gewöhnliches, möchte ich die Bewertung gar nicht zu hoch hängen. Ich würde gerne die nächsten Spiele abwarten, um zu sehen, ob und wie er sich da hinein kämpfen kann.

In dem Kader, den der Bundestrainer für das England-Spiel und die Partie in der WM-Qualifikation am Sonntag in Aserbaidschan berufen hat, stehen sieben Akteure, die in den Jugendmannschaften des VfB Stuttgart ausgebildet wurden, jetzt aber bei anderen Klubs aktiv sind. Können Sie sich trotzdem freuen?

Selbstverständlich. Es ist ein gutes Zeichen, dass der VfB diese Spieler ausgebildet und herausgebracht hat, die jetzt in der Nationalmannschaft spielen. Ich sehe es sehr positiv und als Ansporn, auch in Zukunft wieder Nationalspieler zu stellen.

Ist es naiv zu glauben, dass ein Klub die Spieler, die er heranzieht, in der heutigen Zeit langfristig an den eigenen Profikader binden kann?

Es ist zumindest schwieriger geworden, weil sich die Landschaft in den vergangenen Jahren extrem verändert hat. Viele der talentierten Spieler träumen heute davon, bei Bayern München oder einem anderen internationalen Topklub zu spielen. Dazu kommt die neue Konkurrenz durch Vereine wie RB Leipzig. Natürlich werden junge Spieler auch von Wettbewerben wie der Champions League gelockt, da ist man auch bereit, bereits in jungen Jahren den Klub zu wechseln.

Der VfB, der über Jahrzehnte bundesweit führend in der Jugendarbeit war, hat zuletzt etwas an Boden verloren. Wie können Sie in diesem Bereich wieder nach vorne kommen?

Die Konkurrenz schläft nicht, die jungen Spieler werden heute aggressiv abgeworben. Diesem Kampf müssen wir uns stellen. Wir müssen den Jungs optimale Bedingungen bieten, damit wir interessant für sie sind. Das ist heute wichtig. Noch wichtiger ist, wie wir sie ausbilden, wie wir sie auf dem Weg nach oben begleiten – damit wir eine gute Adresse für sie sind und sie gerne zu uns kommen. Dazu brauchen wir gutes Personal und eine gute Infrastruktur und die nötige Wirtschaftskraft.

Bleibt der VfB auch in Zukunft die erste Anlaufstelle für hoffnungsvolle Talente aus Baden-Württemberg, oder suchen Sie, wie zuletzt zu hören war, verstärkt im Ausland?

Wir müssen beides tun. Natürlich sehen wir uns in der Region um, weil es unser Wunsch ist, möglichst viele Spieler aus dem Stuttgarter Raum im Klub zu haben. Aber die Konkurrenz ist härter geworden. Es gibt Klubs wie Freiburg, Hoffenheim, Augsburg oder Ingolstadt, die alle gar nicht so weit weg und durchaus interessant für junge Spieler sind. Wir wollen die Nummer eins in der Region bleiben, aber klar, wenn wir in der Bundesliga konkurrenzfähig sein wollen, müssen wir auch darüber hinaus schauen, was sich auf dem Markt tut.

Stichwort VfB. Was empfinden Sie, wenn Sie an den Frühling vor zehn Jahren denken?

Um es in Poldis Worten zu sagen: Geile Zeit! Es war die schönste Zeit, die ich als Profi erlebt habe. Es ging im Frühjahr los, wir hatten einen Lauf, jeder hatte einfach Bock, ins Training zu gehen. Es war eine eingeschworene Gemeinschaft. Natürlich konnte keiner absehen, dass es mit der deutschen Meisterschaft klappt, aber diese Monate von Februar, März bis Mai 2007 waren einzigartig, und ich werde sie nie vergessen.

Ab wann hatten Sie in der Mannschaft damals das Gefühl, dass Sie den Titel gewinnen können?

Der verletzte Spieltag, als wir 3:2 in Bochum gewannen, war sicher das einschneidende Erlebnis. Schalke verlor in Dortmund, wir kamen nach zwei Rückständen zurück und drehten gegen den VfL Bochum die Partie. Wir waren plötzlich Tabellenführer, und wurden nervös. Die letzte Woche haben wir im Training gezittert, vor allem im Abschlusstraining, da war es sehr ruhig.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es in diesem Jahr beim VfB wieder etwas zu feiern gibt?

Wir haben gute Chancen. Ich schätze, die vier Klubs, die gerade oben stehen, machen es unter sich aus. Zwei schaffen den direkten Aufstieg, da wollen wir dabei sein. Unsere Mannschaft ist gut, ich bin sehr optimistisch.

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Erstellt:
25.03.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 03sec
zuletzt aktualisiert: 25.03.2017, 06:00 Uhr

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