Lärm, Staub, schöne Männer

Die Händler in der Neckargasse sind einsichtig, obwohl weniger Kunden kommen

Wer es eilig hat, sollte die Neckargasse meiden: Die Baustelle zwingt die Passanten auf einen schmalen Streifen. Die Händler ertragen den Lärm trotz Umsatzeinbußen relativ gelassen.

11.06.2016

Von sabine lohr

Von oben ist das Bauzaun-Labyrinth in der Neckargasse gut zu erkennen. Von unten ist die Wegeplanung schwieriger. Bild: Metz

Von oben ist das Bauzaun-Labyrinth in der Neckargasse gut zu erkennen. Von unten ist die Wegeplanung schwieriger. Bild: Metz

Tübingen. Nichts geht mehr an der Ecke bei der ehemaligen Neckartor-Apotheke. Fußgängerstau wegen Kinderwagen-Begegnungsverkehr. Die beiden Mütter schieben ihre Babymobile knapp aneinander vorbei, erst dann geht es trippelschrittweise weiter. Die Baustelle mitten in der Gasse lässt den Passanten nur einen schmalen Streifen – und stellt sie jeden Tag vor das Rätsel, wie sie am besten zum Ziel kommen. Wer nämlich glaubt, rechts an den Bauzäunen, wo es recht leer ist, käme er schneller voran, täuscht sich: Das Labyrinth führt in eine Sackgasse.

Nur langsam und im Gänsemarsch geht es an den Bauzäunen entlang voran. Manchen Fußgängern ist es dabei völlig egal, ob die Leute hinter ihnen noch durchkommen: Ein Rentnerpaar schlendert sehr gemächlich die Gasse hinunter und bleibt immer wieder stehen, um in die Baugrube zu gucken. Das Überholen der Beiden ist wegen des regen Gegenverkehrs unmöglich.

So gelassen wie dieses Rentnerpaar sind auch die Geschäftsleute. „Es muss ja gemacht werden“ – das sagen fast alle, auch wenn Lärm und Staub nerven und weniger Kundschaft in die Läden kommt.

„Wir merken es schon sehr“, sagt Samanta Camacho, Verkäuferin bei Calzedonia. Es ist laut im Laden – der Bagger steht direkt davor. Die Tür hat Camacho trotzdem aufgelassen. Sonst kommt gar keine Kundin mehr herein. „Es kommen halt die, die kommen müssen“, an Laufkundschaft würde es eher mangeln. Zur Zeit sei die Atmosphäre eben nicht sehr schön, „und manche Kundin fühlt sich nicht wohl, wenn direkt vor der Tür die Männer arbeiten und wir hier Bikinis verkaufen.“

„Ich fühl mich wie das Kaninchen vor der Schlange“, sagt Beate Biggeleben. Sie ist Verkäuferin bei Wolle Rödel. Bis zu ihr ist die Baustelle noch nicht vorgedrungen, aber jetzt schon, sagt sie, seien wesentlich weniger Leute in der Neckargasse unterwegs als sonst. Im zweiten Bauabschnitt wird auch sie die Bagger vor der Tür haben. „Und dann verkaufe ich halt nichts mehr von dem, was ich draußen anbiete.“

In der Konditorei Röcker ist das jetzt schon der Fall. Die Außenbewirtung fällt flach. „Ach, das geht schon“, sagt Verkäuferin Emel Tuc. Sie sieht das Ganze ohnehin positiv: „Besser wir haben jetzt den Lärm, als nächstes Jahr einen Wasserrohrbuch, der die ganze Gasse vollaufen lässt.“ Die Baustelle komme gut voran, sagt sie, „wir sehen ja, dass die am Arbeiten sind.“ Eine Tatsache, der Tuc noch etwas anderes abgewinnen kann: „Man sieht schöne Männer hier.“

Rund 20 Prozent Umsatzrückgang muss die Boutique Herzblut verkraften, obwohl auch sie von der Baustelle noch gar nicht direkt betroffen ist. „Die Laufkundschaft hat stark abgenommen“, stellt Inhaberin Eveline Hagel fest. Sie vermutet, dass die Baustelle Kaufwillige sogar nach Reutlingen vertreibt. Ihr ist angst und bang vor dem zweiten Bauabschnitt: „Ich rechne damit, dass ich dann 40 Prozent weniger verkaufe. Wir müssen gucken, ob wir das aushalten.“

Auch das Tabakwarengeschäft Barbarino verkauft weniger, seit die Neckargasse eine Baustelle ist. „Vor allem Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte kommen gar nicht mehr“, sagt Filialleiterin Ute Caruana. Sie hatte am Donnerstag eine zusätzliche Belastung. Weil der Bagger das Stromkabel zu ihrem Geschäft gekappt hatte, konnte die Kasse nicht mehr benutzt werden. „Den Verkauf haben wir hingekriegt. Wir haben alles aufgeschrieben und mussten halt kopfrechnen. Nur mit den Lottoscheinen war es blöd.“ Aber auch Caruana sieht nicht alles negativ: „Die Stadtwerke haben gut informiert, auch darüber, wann welche Zufahrtsstraßen geöffnet sind. Das ist alles toll organisiert.“

Überhaupt nichts zu meckern hat Semy Gutmann. Die gutgelaunte Verkäuferin bei Leguano merkt „keine großen Einbußen“. Durch ihre Tanzkurse sei sie so bekannt, dass die Leute sie immer fänden, Baustelle hin oder her. „Man muss immer positiv denken“, sagt sie fröhlich.

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Erstellt:
11.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 11.06.2016, 01:00 Uhr

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