Gießkannen-Konzert im Forst

Die Brunft der Rothirsche im Schönbuch hat auch einen politischen Hintergrund

Sie pfeifen fast aus dem letzten Loch, die Hirsche im Schönbuch. Am Ende der Brunftzeit erklärte Revierförster Rainer Pohl jetzt das inszenierte Naturschauspiel.

27.09.2016

Von Mario Beisswenger

Die Brunft der Rothirsche im Schönbuch hat auch einen politischen Hintergrund

Schönbuch. Die Hirsche scheinen schon ganz heiser. Ihr Sound ist wie ein ungelenkes Stück Blasmusik, vorgetragen auf einer Blechgießkanne. Kein Wunder. Seit Mitte September röhren die Platzhirsche und Prätendenten auf den Titel um die Wette. Das ganze Stück ist eine doppelte Inszenierung, wie Revierförster Rainer Pohl bei einer Presseführung am Montag erklärte.

Zum einen setzen sich die männlichen Vertreter in Szene, um Konkurrenten zu beeindrucken. Das ganze Geschehen ist aber durch politische Beschlüsse geformt. In den 1950er Jahren sei es darum gegangen, ob die Hirsche im Schönbuch komplett abgeschossen werden sollen. Bis auf eine waren alle Schönbuchgemeinden dafür, so Pohl, um Schäden in den umliegenden Äckern zu unterbinden.

„Eine Variante wäre der Total-Abschuss gewesen. Das ging aber nicht für das Wappentier des Landes“, erklärte Pohl. Es sei politisch nicht opportun gewesen, das frühere Jagdgebiet der adligen Landesherren leerzuschießen. Links und rechts der alten B 27 wurde das Rotwildgatter eingerichtet – vom Goldersbach bis zur B 464 und von Breitenholz bis Pfrondorf.

Damit waren die Hirsche eingesperrt und mussten ihre Nahrung innerhalb des Waldes finden. Pohl erinnert sich, dass Ende der 1970er Jahre, als er im Forstrevier anfing, „die Buche fast komplett zusammengeschält war“. Schließlich müssen Hirsche ihren Wiederkäuermagen alle drei bis vier Stunden füllen.

Wenn sie das nicht auf saftigen Wiesen tun können, dann zerlegen sie die Gehölze. Besonders verheerend sind die Schälschäden, wenn das Rotwild anfängt, Baumrinde in langen Streifen abzureißen. Zu der damaligen Zeit sahen Schönbuch-Spaziergänger viel Wild. „Die mussten aus dem Wald raus auf Waldwiesen und Wege.“

Pohl und seine Kollegen wollten aber den Aufwuchs des Waldes schützen. Sie fingen an, eine überlegte Mischung von Deckung und Äsung im Forst anzulegen. Damit noch Hirsche zu sehen sind, richteten sie Schaugatter ein wie an der Josefsruhe oder in Entringen.

Tiere können sich in

Ruhezonen zurückziehen

Die Folge ist nun aber, nach Jahrzehnten des Waldumbaus, dass weniger Wild zu sehen ist. Hundert Meter neben dem Waldweg könne sich ein Rudel Hirsche bequem verstecken, sagt Pohl. „Wenn man nichts sieht, zu sagen, da ist nichts da, das ist Unsinn.“

Ein Teil des immer noch aktuellen Hirsch-Managements sind auch große Treibjagden. Konzentriert auf wenige Tage im Herbst, so dass die Rudel das übrige Jahr Ruhe haben. Verstärkt wird dies noch durch Ruhezonen, in die sich die Tiere zurückziehen können. Dass zu einer der Treibjagden das Landwirtschaftsministerium einlädt, findet Pohl in Ordnung. Eine Diplomatenjagd im Sinne von Auftrieb für wenig geübte Schützen sei das nicht.

Die Kanzel am „Troppenden Wasen“ in der Nähe der Schlagbaumlinde steht an einem Überbleibsel einstiger fürstlicher Jagd. Eine regelrechte Allee ist fürs freie Schussfeld in den Wald geschlagen. Genutzt wird sie jetzt, um dem Rotwild bei der Brunft zuzuschauen.

Aber im Ausklang der Saison verlieren die Hirsche allmählich die Lust, zu belfern und zu dröhnen. Das Gießkannen-Konzert wird schwächer. Nur wenn ein brünstiges Weibchen da ist, legen die Hirsche wieder los. „In der Hochbrunft schreien sie den ganzen Tag“, sagt Pohl.

Am Ende der Paarungszeit sind die Hirsche erschöpft. Das Konkurrieren mit Nebenbuhlern um die Gunst der Weibchen kostet sie Kraft und Kilos. Bilder: Metz

Am Ende der Paarungszeit sind die Hirsche erschöpft. Das Konkurrieren mit Nebenbuhlern um die Gunst der Weibchen kostet sie Kraft und Kilos. Bilder: Metz

Paarungszeit ist gut zum Abnehmen / Rund 200 Tiere im Gatter

Rund 200 Kilo wiegt ein gut gebauter männlicher Rothirsch. Während der Brunft ist er aber so beschäftigt, Konkurrenten zu verdrängen, um möglichst viele Weibchen zu begatten, dass er schon mal um 25 Kilo abmagern kann.

Beobachten lassen sich die Hirsche aus eigens installierten Aussichtskanzeln. Am einfachsten gelingt das in der Abenddämmerung. Viele röhrende Hirsche sind am „Troppenden Wasen“ zu hören, einfach zu erreichen über die Parkplätze „Ranzenpuffer“ und „Weißer Stein“. Die Chancen, das Röhren zu hören, ist gut. Um die kapitalen Paarhufer zu sehen, muss aber das Glück mitspielen. Manchmal ist es schon zu dunkel. Den Bestand im 4000 Hektar großen Rotwildgatter im Schönbuch schätzen die Förster auf um die 200 Tiere.

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Erstellt:
27.09.2016, 17:10 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 27.09.2016, 17:10 Uhr

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