Die Blumen von gestern

Die Blumen von gestern

Irrwitzige Komödie über die Beziehung zwischen einem deutschen Holocaust-Forscher und seiner jungen französischen Kollegin.

04.05.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Die Blumen von gestern

Aus der Psychologie weiß man, dass die Verbrechen von Nazi-Tätern noch in den Köpfen deren Enkel herumspuken. Den um-die-40-Jährigen Totila Blume (Lars Eidinger), dessen Opa im Baltikum Juden ermordet hat, haben die Gespenster der Familienvergangenheit dazu getrieben, sein Leben der Erforschung des Holocaust zu widmen. Dass da viel Neurotisches im Spiel ist, merkt man aber schon an der zwanghaften Verbissenheit, mit der der Historiker seinen Beruf ausübt. Wer von seinen Kollegen bei der Arbeit einen Witz reißt, muss um seine Vorderzähne fürchten.

Schauplatz des Spielfilms von Chris Kraus („Vier Minuten“, „Poll“) ist ein Forschungsinstitut im Schwäbischen, wo die Vorarbeiten für einen großen Holocaust-Kongress für weiteren Konfliktstoff sorgen – zum Beispiel die Frage, ob man den Nazi-Profiteur Daimler-Benz ins Sponsoren-Boot holen soll. Noch komplizierter wird die Lage mit der Ankunft einer französischen Praktikantin (Adèle Haenel aus „Das unbekannte Mädchen“), die das Schicksal ihrer Oma, die von den Deutschen vergast worden ist, keine Ruhe finden lässt.

Ihre zwischen Neugier und Feindseligkeit schwankende Haltung gegenüber dem Nazi-Enkel Totila setzt diesen noch stärker unter Druck. Doch ebnet die Begegnung vielleicht auch den Weg, beider Fixierung auf die Vergangenheit aufzubrechen. Die Konfrontation verabreicht Regisseur Kraus zunächst als recht spritzige Komödie mit satirischen, Slapstick- und Screwball-Elementen.

Psychohistorisch oszilliert der Film zwischen der steilen These, dass die Nachfahren von Opfern und Tätern gleichermaßen Nazi-Geschädigte sind, und legitimer Kritik an den selbstherrlichen und eigennützigen Auswüchsen deutscher Bewältigungskultur. So wird eine Auschwitz-Überlebende, die lieber von ihren Schönheitsoperationen als über Gaskammern sprechen will, von Totila angeschnauzt: „Sie haben doch gar keine Ahnung, was den Juden angetan wurde.“

Sobald der Regisseur aber anhebt, das Thema mit melodramatischem Ernst zu behandeln und seinen Protagonisten auch noch therapeutisch zu Leibe rückt, was in großen Teilen der zweiten Filmhälfte der Fall ist, wird die Geschichte gedanklich schal und erzählerisch zäh. Ob einer impotent wird, weil sein Opa ein Nazi war, muss man zumindest in dieser Detailgenauigkeit nicht wissen.

Nazi-Opas Schandtaten hinterlassen beim Enkel einen Sparren. Wird man ja noch erzählen dürfen.

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Erstellt:
04.05.2016, 02:44 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 04sec
zuletzt aktualisiert: 04.05.2016, 02:44 Uhr

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