Pokalfinale

Der größte Sieger steht schon vor dem Anpfiff fest

Rund ein Jahr nach der Krebsdiagnose spielt Frankfurts Kapitän Marco Russ im Endspiel in Berlin. Das war sein Traum, das war seine Hoffnung.

27.05.2017

Von THOMAS GOTTHARDT

Marco Russ, hier nach dem Pokalsieg im Elfmeterdrama in Mönchengladbach, hat den Krebs besiegt. Rund ein Jahr nach der schlimmen Diagnose steht der 31-Jährige im Finale gegen Dortmund. Ein Traum in doppelter Hinsicht.   Foto: Getty Images

Marco Russ, hier nach dem Pokalsieg im Elfmeterdrama in Mönchengladbach, hat den Krebs besiegt. Rund ein Jahr nach der schlimmen Diagnose steht der 31-Jährige im Finale gegen Dortmund. Ein Traum in doppelter Hinsicht. Foto: Getty Images

Berlin. Diese Kategorie fehlt in keinem Bundesliga-Saisonrückblick: das Comeback des Jahres. Für die abgelaufene Runde war die Auswahl einfach: Marco Russ.

28. Februar 2017: Eintracht Frankfurt müht sich zu Hause im Pokal-Viertelfinale gegen den Zweitligisten Arminia Bielefeld. Die Hessen führen 1:0. Die 90 Minuten sind rum. Es gibt eine Nachspielzeit. Und in der wird der Frankfurter Marco Russ eingewechselt. Eine zehnmonatige Leidenszeit geht in dieser Sekunde zu Ende. Zehn Monate von der Diagnose Hodenkrebs bis zur Rückkehr auf den Rasen.

Nach dem Schlusspfiff an diesem letzten Tag des Monats läuft Marco Russ mit Töchterchen Vida auf dem Arm in Richtung Fankurve und lässt sich feiern. Ehefrau Janina steht an der Seitenlinie und hat Tränen in den Augen. „Ich war wie in einem Tunnel“, sagt Russ rückblickend zum Moment vor der Einwechslung. Fast zwei Minuten musste der 31-Jährige an der Seitenlinie warten, bis der Ball endlich ins Aus ging und Russ für Youngster Aymen Barkok in die Partie kommt. Den Ball berührt Russ übrigens nicht mehr, was ihm und allen anderen in diesem Moment allerdings völlig egal ist.

Abschied als Patient

Und eines sagt Russ auch noch: „Wir wollen ins Finale. Noch einmal 90 Minuten, dann sind wir in Berlin.“ In diesem Endpiel stehen die Hessen nun. Die Partie gegen Borussia Dortmund findet am heutigen Samstag statt, am 27. Mai, ziemlich genau ein Jahr, nachdem sich Russ als Patient vorerst aus dem Fußball verabschiedete.

Eine „normale“ Dopingprobe, bei der zu hohe Hormon-Werte festgestellt wurden, führte die Ärzte zu der Diagnose: Tumorerkrankung. Das passierte kurz vor den Relegationsspielen gegen den 1. FC Nürnberg. Dennoch spielte Russ als Eintracht-Kapitän beim 1:1 im Hinspiel mit, er erzielte die Nürnberger Führung per Eigentor. Beim Rückspiel fehlte Russ wegen einer Gelbsperre. Frankfurt blieb mit einem Sieg in der Bundesliga. Kurz vor der entscheidenden Partie in Nürnberg wurde Club-Trainer René Weiler mit der Aussage zitiert, die Veröffentlichung der Erkrankung vor der ersten Begegnung sei eine „Inszenierung“ gewesen. Damit hatte sich Weiler mächtig Ärger eingehandelt. Er habe diesen Satz so nicht gesagt, ruderte Weiler sofort zurück.

Für Russ war zu dem damaligen Zeitpunkt schon etwas ganz anderes wichtig: das eigene Leben. Nach der erfolgreichen Operation am 23. Mai musste sich der Familienvater zweimal einer Chemotherapie unterziehen. „Ich habe während der ersten wegen der Infusionen 13 Kilogramm zugenommen, wog 103 Kilogramm“, erzählte er später: „In der zweiten waren es nur noch 85 kg, weil ich gar nichts mehr runter bekommen habe.“ An den Tod habe er nie gedacht, „keine Sekunde, weil die Ärzte „alle negativen Gedanken“ sofort vertrieben.

In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ schilderte Russ, wie kritisch es doch war: „Es war kurz vor knapp und nicht so, dass man die Operation hätte verhindern können.“ Und der „Welt am Sonntag“ gestand er, dass er vieles hinterfragt habe, „ob ich bewusst gelebt oder etwas vernachlässigt habe“.

Es war ein harter Weg zurück. Im Laufe der ersten Saisonhälfte keimte in Russ langsam die Hoffnung, bald wieder spielen zu können. „Meine Geschichte zeigt, dass man solche Krankheiten überstehen kann“, sagte er nach seinem Startelf-Comeback Mitte März 2017. Der Verein unterstützte den Zuschauerliebling, der den Hessen nur kurz, von 2011 bis 2013 in Wolfsburg, den Rücken gekehrt hatte. „Unser ehemaliger Vorstandschef Heribert Bruchhagen, Sportdirektor Bruno Hübner, Trainer Niko Kovac und Fredi Bobic haben mir immer ein gutes Gefühl gegeben“, sagte Russ, als sein Vertrag noch während der Chemotherapie bis 2019 verlängert wurde: „Ich bin wirklich sehr glücklich, die Eintracht hinter mir zu wissen.“

Elfmeterheld in Gladbach

Im Pokal-Halbfinale bei Borussia Mönchengladbach gehörte Russ zu den Eintracht-Helden, die beim 7:6 im Elfmeterschießen die Nerven behielten. „Es ist noch kein Jahr her, da habe ich von meiner Krankheit erfahren. Deshalb bin ich megaglücklich, dass wir das Finale erreicht haben und ich sogar ein Teil davon war“, sagte der gebürtige Hanauer. Das Endspiel in Berlin, „das wird ein absolutes Highlight“. Marco Russ wird es genießen, mit oder ohne Pokal. Gewonnen hat er schon.

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Erstellt:
27.05.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2017, 06:00 Uhr

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