Technik-Oscar

Der Tüftler und sein Goldjunge

Über den Oscar für den besten Film oder Schauspieler wird berichtet. Der „Technik-Oscar“ bleibt oft unerwähnt. Dabei stecken hinter ihm manchmal wundersame Geschichten – wie die von Willi Burth.

25.02.2017

Von ANDREAS CLASEN

Foto: Privat Foto: Privat

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Ravensburg/Bad Saulgau. Und dann stehen die beiden Oberschwaben plötzlich mit den nackten Füßen im Pazifik: Vater und Sohn, der 83-jährige Willi und der 50-jährige Axel Burth, tausende Kilometer fern der Heimat, in Kalifornien, Los Angeles. Für eine Ehrung sind sie hier. Willi Burth erhält den „Technik-Oscar“, die Auszeichnung für Wissenschaft und Entwicklung der „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“. Im Gegensatz zur bekannten Oscar-Figur ist dieser Goldjunge kleiner und in einer vergoldeten Plakette integriert. Als Willi Burth bei der Verleihung den Preis am 27. März 1988 mit strahlenden Augen in den Händen hält, sagt er: „Ich habe mir in meinem Leben nicht träumen lassen, eine solche Ehrung zu bekommen.“

Willi Burths Leben beginnt am 10. September 1904 in Bad Saulgau. Sein Papa führt ein Textilgeschäft. Der Sohn denkt bereits als Kind mehr an Kino als an Seide. „Mit zehn hat er Freunden schon erste Filmstreifen gezeigt“, sagt Axel Burth. Der 79-Jährige führt durch das nach seinem Vater benannte Museum im Ravensburger Kino „Die Burg“ und erzählt den Weg zu jener Erfindung, die dem 2001 Verstorbenen den Technik-Oscar einbrachte.

Die ersten großen Filmabende gibt Willi Burth als Jugendlicher gegen 1919, nachdem er einen ausgebrannten 35-Millimeter-Kinoprojektor erworben, repariert und auf einen Nähmaschinentisch montiert hat. Mit der Eigenkonstruktion zeigt er in einer Turnhalle Filme für den Schneeschuh-Verein Saulgau, dessen Mitglied er ist, um die Vereinskasse zu unterstützen. Da ist auch der Job seines Vaters von Vorteil, kommt der Sohn doch so leicht an Stoff, um die Halle zu verdunkeln.

Diese Improvisationskunst und handwerkliches Geschick zeichnen ihn zeitlebens aus. „Er hat auch selbst eine Funkanlage entwickelt, mit der er das Garagentor öffnen konnte“, sagt Axel Burth, „oder eine Abdeckung für ein Freibadbecken, die verhinderte, dass die dreckige obere Seite und saubere untere beim ein- und ausrollen aneinandergeraten.“

Willi Burth absolviert zwar noch eine Textilkaufmannslehre in Ravensburg, 1922 aber macht er sich mit seinen Kinovorführungen selbstständig. Er ist erfolgreich in Saulgau, da er jedoch weiß, dass er im größeren Ravensburg mehr Zuschauer findet, packt er 1933 die Koffer, als er dort ein Kino kaufen kann. Er heiratet, und die Geschäfte laufen für das Mitglied der Nationalsozialistischen Partei so gut, dass er 1938 die Eröffnung des Neubaus „Burgtheater“ feiert.

Den Zweiten Weltkrieg erlebt er als Wehrmachtssoldat an der Westfront. Nach der Niederlage steht der Entnazifizierungsprozess an, er wird als „Mitläufer“ eingestuft und erhält 1949 sein Kino zurück. Nahtlos knüpft er an seinen früheren Erfolg an. Schon fünf Jahre später eröffnet er in Ravensburg das mit 900 Plätzen damals größte Kino Oberschwabens, das „Theater am Frauentor“.

Zum Auslöser für Burths berühmte Erfindung wird der Ausbau seines Burgtheaters Mitte der 50er. Dabei entsteht ein kleiner Raum, mit dem er nicht so recht weiß, was er anfangen soll.Vielleicht Fernsehen zeigen? Er probiert es, aber das Ergebnis überzeugt ihn nicht. Die nächste Option: 16-Millimeter-Schmalfilme, da braucht der Projektor kaum Platz. Das läuft anfangs, doch bald fehlen aktuelle Filme in dem Format.

Also muss doch ein üblicher 35-Millimeter-Projektor her, aber wohin mit den vertikal montierten Filmspulen? Ein Stockwerk drüber ist noch ein Räumchen. Burth denkt sich eine Spiegelkonstruktion aus, die das Bild in den unteren Saal bringt. Das Spulenproblem löst er auf einfache wie geniale Weise. 1957 klebt die für eine Vorführung nötigen Bänder zusammen, wickelt das ganze um einen Kern auf einem horizontalen Teller und transportiert den Film über Rollen zum Projektor und dann zu einem zweiten Teller. Burth tüftelt aber weiter. Immer noch muss ein Vorführer das kilometerlange Filmband nach jeder Vorstellung per Hand zurück auf den Anfang wickeln, was mindestens 20 Minuten dauert. „Damals habe ich in München schon studiert“, sagt der Ingenieur Axel Burth, „aber immer, wenn ich daheim war, hat er daran getüftelt und ich dann natürlich auch.“ 1960 haben sie endlich eine Apparatur entwickelt, die das Zurückspulen erübrigt.

Bereit für das Patent

Die bayrische Firma Kinoton übernimmt die Produktion im großen Stil, das Gerät wird weltweit patentiert. Der „Burthsche Teller“ setzt sich durch, ob in Frankreich, Italien oder den USA. Der Vorteil: Mit dieser Anlage kann ein Vorführer mehrere Kinosäle bedienen und nicht mehr nur einen.

Heute steht die Erfindung ungenutzt in Vorführräumen des Ravensburger Burg-Kinos herum. Dafür blinken Festplatten im Raum. „Jetzt ist ja alles digital“, sagt Axel Burth. Er ist bisher noch einer der Geschäftsführer der beiden Ravensburger Kinos, bald will er die Verantwortung komplett an Willi Burths Enkel Gallion Anastassiades abgeben. Dann hat er mehr Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen, an das Tüfteln mit dem Vater zu denken, an das Fußbad im Pazifik.

Willi Burth. Privatbild

Willi Burth. Privatbild

Axel Burth Foto: Clasen

Axel Burth Foto: Clasen

Noch ein Gewinner aus Oberschwaben

Vor acht Jahren konnte ein weiterer Oberschwabe einen „Technik-Oscar“ gewinnen: Volker Schumacher. Er ist Geschäftsführer der Firma Opsira in Weingarten (Kreis Ravensburg), die auf optische System- und Messtechnik spezialisiert ist. Schumacher erhielt den Preis für die Entwicklung des Arrimax 18/12 HMI Filmscheinwerfers zusammen mit den Projektpartnern Erwin Melzner und Timo Müller der Münchner Firma Arri. Letztere bekam auch Anfang Februar den Preis, der abseits der großen Oscar-Verleihung vergeben wird, und zwar für die Entwicklung der Alexa-Digitalkameras, die etwa in „The Revenant“ mit Leonardo DiCaprio zum Einsatz kamen. ?ac

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Erstellt:
25.02.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 25.02.2017, 06:00 Uhr

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