Kampf gegen Eindringlinge

Der Tübinger Ralph Schill forscht über eingewanderte Tier- und Pflanzenarten

Ralph Oliver Schill aus Tübingen forscht als Biologe an der Uni Stuttgart über Neobiota, eingewanderte Tier- und Pflanzenarten, die einheimische Arten verdräng(t)en. Und er schrieb ein Booklet für Kinder.

15.09.2016

Von Michael Sturm

Die Süßwassermeduse ist eine drei Zentimeter große Quallenart. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Die Süßwassermeduse ist eine drei Zentimeter große Quallenart. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Tübingen. Pflanzen und Tiere verbreiten sich. Manchmal weit weg vom ursprünglichen Siedlungsgebiet. Die Hausmaus beispielsweise stammt aus Zentralasien. In der Mittel- bis Jungsteinzeit wanderte sie als Kulturfolger, vermutlich als blinder Passagier auf Schiffen in Mitteleuropa ein. Die Hausmaus gehört zu den Archäobiota, Tieren oder Pflanzen, die vor dem Jahr 1492 einwanderten.

Alle Arten, die nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus zu fernen Orten gelangten, die dort einheimischen Arten verdrängten und so die biologische Vielfalt in ihrem Lebensraum bedrohen, werden Neobiota genannt. Im Kreis Tübingen gibt es einige davon: Die Mandarinente und die Bisamratte, im Neckar der Sonnenbarsch und in angrenzenden Gewässern der Kamberkrebs.

Keine der hier vorkommenden Arten ist jedoch auf der Liste invasiver, gebietsfremder Arten verzeichnet, die von der Europäischen Union im Juli veröffentlicht wurde und im August in Kraft trat. „Darauf sind Organismen aufgeführt, die überall bekämpft werden müssen“, sagt Ralph Oliver Schill. Der Zoologe aus Tübingen arbeitet am Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme der Uni Stuttgart.

Einer Schätzung aus dem Jahr 2003 zufolge verursachten Neobioten bundesweit Schäden von durchschnittlich 155 Millionen Euro – im Jahr. „Das sind extrem hohe Zahlen“, sagt der Tübinger Zoologe. Weitere Kosten seien abzusehen: Die eingewanderte asiatische Tigermücke trage zwar noch nicht das eine Fieberkrankheit auslösenden Virus in sich. Das, so Schill, werde sich mit der abzusehenden Temperaturerhöhung aber ändern. Es könne zu einer Epidemie führen, ähnlich jener am Anfang des 19. Jahrhunderts, als weite Landstriche des Rheinlands von Malaria betroffen waren. Der weltumspannende Reiseverkehr ist das Problem: „Kleinere und größere Organismen gelangen so einfacher zu uns.“

Die Bekämpfung schädlicher Neobiota ist schwierig, weil es – unter anderem beim Gewässerverbund – an Ideen und Möglichkeiten fehle, sagt Schill. Er kritisiert: „Man versucht zu deckeln, um etwas Ruhe zu haben.“ Er habe oft den Eindruck, mancher Beamte hoffe, dass das Problem auf die Nachbargemeinde oder den eigenen Nachfolger übergehe. Empfehlungen, wie vor Ort umzugehen sei, könne er pauschal nicht aussprechen. Bisamratten könne man Fallen stellen oder erschießen. „Aber ein Jäger kann ja nicht Tag und Nacht an der Neckarbrücke auf die kleinen Tiere warten.“

Auf internationaler Ebene fordert Schill im Namen des Naturschutzes das in den deutschsprachigen Staaten geächtete Harpunieren bestimmter Fischarten, etwa des Rotfeuerfischs: „Der frisst und frisst und frisst.“ Innerhalb der letzten 20 Jahre verbreitete sich dieser Fisch von der Karibik aus bis Kanada und Südamerika und vernichtete dabei etliche einheimische Arten.

Zunächst jedoch müssen schädliche Neobiota erfasst werden. Bei Pflanzen ist das unproblematisch. Schill: „Die rennen nicht davon.“ Manche Tierarten, gerade von Menschen ausgesetzte, dagegen schon. Um diese aufzuspüren, nutzt Schill seine Mitgliedschaft im Verband deutscher Sporttaucher (VDST), wo er im Vorstand für die Bereiche Wissenschaft und Umwelt zuständig ist. Sporttaucher führen ein Logbuch darüber, was sie unter Wasser gesehen haben. Schill rief ein Programm ins Leben, das vom Bundesamt für Naturschutz gefördert wird: Sporttaucher wurden geschult, bestimmte Dinge zu erkennen, um so Daten zu möglichen eingewanderten Tierarten unter Wasser erheben zu können, die unter www.neobiota.info eingetragen und abgerufen werden können. Darauf stehen Informationen über die wichtigsten Arten, so dass auch Laien die Unterschiede auffallen. „Seit 2005 sind wir auf Organismen fixiert, die man nicht mit anderen Arten verwechseln kann“, sagt Schill. So entdeckten Taucher in heißen Sommern eine etwa drei Zentimeter große Qualle, die nicht nesselte – die Süßwasser-Meduse. Sie stammt ursprünglich aus dem Gebiet des chinesischen Flusses Jangtse.

„Bei den Sporttauchern ist das Thema so gut verankert, wie bei keiner anderen Wassersportart“, freut sich Schill. In den letzten elf Jahren halfen Seminare, Schulungen und Publikationen, die Datenbank immer weiter zu füttern. Ein Schwerpunkt neben dem Festhalten neuer Lebensgewohnheiten im Vergleich zum Verhalten in der alten Heimat ist, Karten zu erstellen, die Verbreitungswege dokumentieren. Letzten Herbst wurde der VDST mit dem UN-Dekade-Preis für biologische Vielfalt ausgezeichnet. Mit Hilfe der dafür ausgeschütteten Gelder legte Schill nun ein Büchlein auf, das Kinder an das Thema (und ans Schnorcheln) heranführen soll: „Inas und Oles Abenteuer im See“. 10000 wurden gedruckt, kommendes Jahr will man nachlegen. Einige Exemplare liegen ab heute im TAGBLATT-Foyer zur kostenlosen Mitnahme aus.

Der Biologe Ralph Oliver Schill aus Tübingen erforscht Neobiota und fordert, sie in Deutschland aggressiver als bislang zu bekämpfen.. Privatbild

Der Biologe Ralph Oliver Schill aus Tübingen erforscht Neobiota und fordert, sie in Deutschland aggressiver als bislang zu bekämpfen.. Privatbild

Gehört nicht an den Neckar: Die Bisamratte stammt aus Nordamerika, wurde 1927 erstmals in Württemberg gesichtet und ist heute unter anderem am Tübinger Ammerkanal zu finden. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Gehört nicht an den Neckar: Die Bisamratte stammt aus Nordamerika, wurde 1927 erstmals in Württemberg gesichtet und ist heute unter anderem am Tübinger Ammerkanal zu finden. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Garnelen. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Garnelen. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Wollhandkrabbe. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Wollhandkrabbe. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Der Sonnenbarsch ist aus Amerika eingewandert, er erkämpfte sich gefräßig und aggressiv eine Nische mit wenigen Feinden. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Der Sonnenbarsch ist aus Amerika eingewandert, er erkämpfte sich gefräßig und aggressiv eine Nische mit wenigen Feinden. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Dreisena (Dreikantmuscheln). Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Dreisena (Dreikantmuscheln). Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Grobgestreifte Körbchenmuschel. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Grobgestreifte Körbchenmuschel. Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Mandarinente (aus Ostasien, lebt wild am Neckar, wird gefüttert und erlebt keine allzu strengen Winter). Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Mandarinente (aus Ostasien, lebt wild am Neckar, wird gefüttert und erlebt keine allzu strengen Winter). Bilder: Schill, Bauder, Ruoss, Migl, Wagner

Ralph Oliver Schill engagiert sich in Tauchverbänden

Der in Sindelfingen aufgewachsene Ralph Oliver Schill, 46, hielt Seidenhühner im Kinderzimmer und war begeisterter Aquarianer und Terrarianer. Und er ging früh Schnorcheln, begeistert von den Filmen von Jacques Cousteau und Hans Hass. Kurz vor Beginn seines Biologie-Studiums in Tübingen im Jahr 1991 machte er seinen Tauchschein. Er promovierte in physiologischer Ökologie und trat, parallel zum Studium, in den württembergischen Landesverband der Sporttaucher ein und rückte bald in den Vorstand des deutschen Verbands auf. Seit 2013 ist Schill Vorstandsmitglied des Welt-Tauchverbands CMAS mit Sitz in Rom. Hier wie dort ist er Vorsitzender der Wissenschaftskommission, die auch Sparten wie Unterwasser-Archäologie und -Geologie beheimatet.

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Erstellt:
15.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 15.09.2016, 01:00 Uhr

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