Hinter Flügeltüren und Schlosstoren

Der „Tag des offenen Denkmals“ stellt den Schutz bauhistorischen Erbes in den Mittelpunkt

„Gemeinsam Denkmale erhalten“: Beim Tag des offenen Denkmals geht es um das Engagement, das vor Ort nötig ist, um bauhistorisches Erbe zu erhalten. 70 Denkmäler in den Landkreisen Tübingen und Reutlingen öffnen am Sonntag ihre Türen – hier eine Auswahl.

08.09.2016

Von Madeleine Wegner

Im Rottenburger Römermuseum dreht sich am Sonntag alles um Alamannen und Sueben.Bild: Römermuseum

Im Rottenburger Römermuseum dreht sich am Sonntag alles um Alamannen und Sueben.Bild: Römermuseum

Tübingen/Reutlingen. Wiederentdeckte Kirchen-Kunstschätze, eine widerspenstige Glocke, ein verborgener Luftschutzkeller, ein Gewölbe voller Schauergeschichten und das vielsagende Sprechgitter im Klarissenkloster: Am „Tag des offenen Denkmals“ öffnen zahlreiche Gebäude ihre Flügeltüren, Türme und Tore. Zwischen 10 und 18 Uhr am kommenden Sonntag sind denkmalgeschützte Gebäude und Anlagen geöffnet, die sonst nicht allgemein zugänglich sind. In Führungen stellen Fachleute diese Objekte und die Bedeutung des Denkmalschutzes vor. Dieser steht mit dem diesjährigen Motto „Gemeinsam Denkmale erhalten“ besonders im Vordergrund.

Den „Tag des offenen Denkmals“ gibt es in Deutschland seit 1993. Tübingen war von Anfang an mit dabei, Reutlingen beteiligt sich bereits seit 1997. Im Kreis Tübingen laden 13 Denkmäler zu Erkundungen und Entdeckungen ein, im Kreis Reutlingen sind es sogar 57 Angebote.

Wie ein Krimi: Herkunft von Museums-Objekten

Eine lebhafte und ungewöhnliche Geschichte der Erhaltung hat das ehemalige Kasernen-Stabsgebäude in der Schellingstraße 6. Nach dem Abzug der französischen Armee wurde es 1980 besetzt und ging in die Verwaltung durch das Studentenwerk über. Als der Bund das Gebäude verkaufen wollte, schlossen sich die Bewohner zusammen, gründeten ein Wohnprojekt nach dem Modell des Miethäusersyndikats und kauften das Haus 2004. Das renovierungsbedürftige Denkmal wurde 2005 zur Sommerbaustelle von freireisenden Handwerkern, was eine denkmalgerechte und erschwingliche Renovierung ermöglichte. Jens Rüggeberg weiß mehr zur Geschichte (13 Uhr, 15 Uhr, 17 Uhr). Am Nachmittag und bei schönem Wetter bieten die Bewohner des Projekts hausgemachte Pizza aus dem Steinofen an.

Sie sind auf den mittelalterlichen Glasfenstern und auf dem Flügelaltar zu sehen: Die Stifterinnen und Stifter stehen im Mittelpunkt der halbstündigen Führungen durch die Stiftskirche St. Georg. (13 Uhr, 14 Uhr, 15 Uhr). Die Kirche samt Turm und Grablage ist von 11.30 bis 17 Uhr geöffnet.

Aufwendig restauriert wurde in den vergangenen Jahren das im 15. Jahrhundert errichtete Haus in der Haaggasse 26b (Club Voltaire). Dabei traten überraschende Malereien zu Tage (Führungen um 10 und 11.30 Uhr mit Frieder Miller).

Der messtechnische Nullpunkt der württembergischen Landvermessung befindet sich im Observatorium beim Schloss Hohentübingen. Der kleine, unscheinbare Rundbau wurde wohl 1813 im Auftrag des Astronomen und Physikers Johann Gottlieb Friedrich von Bohnenberger errichtet. Das Observatorium ist mitsamt der Ausstattung nahezu unverändert erhalten. Die Restaurierung jedoch ist nicht ganz einfach. Warum das so ist, erklären Dr. Julia Feldtkeller und Markus Numberger (14 und 16 Uhr).

Das Stadtmuseum öffnet von 13 bis 17 Uhr das Theodor-Haering-Haus in der Neckarhalde 31. Um 14 Uhr, 15 Uhr und 16 Uhr berichten die Registrarin Leila Sayer-Degen und die Provenienzforscherin Dr. Andrea Richter bei einem Rundgang von ihrer Arbeit. Kleinere Gruppen können dabei die Räume der Depots besichtigen, wo Teile der städtischen Sammlung untergebracht sind.

An den Führungen durch das Tübinger Rathaus können nur diejenigen teilnehmen, die bereits eine der kostenlosen Karten ergattert haben – das Kontingent ist erschöpft.

Ein Gemeinschafts-Projekt war die Restaurierung und der Umbau der Dorfscheune Kilchberg: Mit Unterstützung der Stadt Tübingen engagierten sich dabei der Verein „Pro Kilchberg“ und eine Gruppe ehrenamtlicher Einheimischer und Neubürger. Die denkmalgeschützte ehemalige Tessinische Lehnsscheune stammt aus dem Jahr 1745. Seit 2012 kann sie nun für Veranstaltungen und Stadtteiltreffs genutzt werden. Gundi Reichenmiller verrät, wie das gelingen konnte (14.30 Uhr und 16 Uhr).

Dem Sprung in der

Glocke auf der Spur

Architektonische und historische Einzelheiten über das Kusterdinger Bürger- und Kulturhaus beim Klosterhof erfahren Interessierte bei den Führungen um 12 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr. Im Hirschensaal, der alten Gaststube im ersten Stock, gibt es von 11 bis 17 Uhr Bewirtung.

Bis zu den Glocken hinauf können Besucher der Michaelskirche in Entringen steigen (ab 12 Uhr, für Kinder nur in Begleitung von Erziehungsberechtigten). Ab 14.45 Uhr ist das nur noch geführt möglich – das Ziel auch hier: die erneut gesprungene große Glocke (14.45 Uhr, 15.15 Uhr, 15.45 Uhr und 16.15 Uhr). Geschichten um die 1716 hergestellte Poltringer Hostiendose gibt es um 14 Uhr. Durch die Baugeschichte der Michaelskirche führt Pfarrer Frank-A. Schirm um 16 Uhr. Und zum Abschluss gibt es um 17 Uhr unter dem Motto „Was hots denn g´litta?“ ein kleines Glockenkonzert.

Kirchen-Kunstschätze und Pumpwerk

Wie Kunstgegenstände in den Kirchen der Diözese Rottenburg-Stuttgart inventarisiert werden, zeigen im Rottenburger Diözesanmuseum Dr. Iris Dostal-Melchinger und Erik Ernst Venhorst. Sie stellen auch den ein oder anderen verborgenen und wiederentdeckten Schatz vor (15 Uhr, telefonische Voranmeldung unter 074 72 / 922 -180 oder -182).

Der Kalkweiler Torturm aus dem 14. Jahrhundert ist Bestandteil der mittelalterlichen Stadtbefestigung und beherbergt unter anderem den Bauhütte-Verein zur Erhaltung schützenswerter Gebäude in Rottenburg. Die Vereinsmitglieder haben den Turm im Inneren aufwendig restauriert. Geöffnet ist er von 11 Uhr bis 17 Uhr, Führungen um 14 Uhr und 15 Uhr – einmaliger Ausblick auf die Altstadt Rottenburgs und ihre Dachlandschaft inklusive.

Im Sumelocenna-Museum präsentiert die Gruppe Alamannisch-Suebische Kulturdarstellung archäologisch fundiert alamannisches und suebisches Leben mehrerer Jahrhunderte – von der Ernährungsweise bis zur Tracht (10 bis 18 Uhr), um 11 Uhr und 14 Uhr gibt es Führungen durchs Museum, um 16 Uhr einen Vortrag von der Archäologin Dr. Dorothee Ade über die Alamannen.

Am Amannhof lädt der Sülchgauer Altertumsverein von 14 bis 18 Uhr zum Fest. Stadtarchivar Peter Ehrmann erzählt „Schauergeschichten im Amannhofgewölbe“ (15.30 Uhr) und Jürg Gaebele führt durch den Zwinger und den Amannhof-Garten (16 Uhr). Dazu gibt es Videos, weitere Besichtigungen, Büchertisch-Flohmarkt, Kaffee und Kuchen.

Die historische Anlage des 1926 errichteten Neckarpumpwerks Kiebingen diente dazu, Oberflächenwasser aus dem Neckar zu entnehmen. Wie das funktioniert, wird zwischen 11 und 13 Uhr erklärt (für Besichtigung mit Kindern nicht geeignet). Da das Pumpwerk im Wasserschutzgebiet liegt, ist es nicht direkt mit dem Auto erreichbar. Parkmöglichkeiten: Bahnhof Kiebingen und in der Siebenlindenstraße.

Gut in Schuss ist die im 16. Jahrhundert erbaute Kirche St. Laurentius in Hailfingen: der reichgestaltete spätgotische Chor mit vorzüglichen Schlusssteinen und figural gestalteten Konsolen des Netzrippengewölbes sowie das spätgotische Sakramentshaus sind gut erhalten. Viel Wissenswertes dazu weiß Professor Wolfgang Urban, der frühere Diözesankonservator (Führungen um 14 und 15 Uhr).

Mit Blattwerk und

Wappen geschmückt

Er ist das Herzstück des im Stil der Neurenaissance erbauten Regierungsgebäudes: Der Große Sitzungssaal des Landratsamts Reutlingen (Bismarckstraße 47) ist am Sonntag von 13 bis 16.30 Uhr geöffnet. Alle halbe Stunde bietet Kreisarchivar Dr. Marco Birn Führungen an. Durch das zweiflügelige Portal betritt der Besucher den Saal, in dem seit über 60 Jahren der Kreistag tagt. Wappen und Wahlsprüche, Ranken- und Blattwerk, mächtige Kachelöfen und die großen Radleuchter zeugen von der Geschichte.

Mit seinen historischen Grabmälern aus dem 18., 19. und 20. Jahrhunderts ist der Reutlinger Friedhof Unter den Linden eine Art ein stadtgeschichtliches Bilderbuch (Führung um 15 Uhr mit Werner Wunderlich).

Durch private Bauherren wurden die ab 1770 für Handwerker errichteten Stadtmauerhäuser seit Mitte der 1980er-Jahre restauriert. Darüber berichten Eliana Treggiari und Karl Grüner (11 und 14 Uhr, Treffpunkt: Eisturm).

Seit 2014 zählt auch das Wellenfreibad Markwasen zu den Denkmälern Reutlingens. Es wurde 1955 eröffnet und ersetzte das 1854 gegründete Arbachbad, das den Anforderungen der rasch wachsenden Stadt nicht mehr genügte. Trotz baulicher Veränderungen erfüllen die Ursprungsbauten und die weitläufigen Grünanlagen bis heute ihre Aufgabe (Führung um 10 Uhr mit Andreas Vogt).

Die 1727 nach dem Stadtbrand erbaute Sägemühle ist das letzte funktionstüchtige Wassertriebwerk der Stadt Reutlingen. Wie sie funktioniert, zeigt Kurt Wengst zwischen 11 und 17 Uhr.

Wie gut erhalten die einzigartige Gesamtanlage des Gminderdorfs ist, zeigt Holger Lange beispielhaft auf zwei Info-Spaziergängen (11 Uhr und 14 Uhr, Treffpunkt: Biergarten „Karz“, Heppstraße 36). Die 1903 begonnene Werksiedlung der Textilfabrik Gminder war in ihrer baulichen Gestalt und ihrem sozialpolitischen Konzept zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutschlandweit richtungsweisend und als Gesamtkunstwerk angelegt.

Zahlreiche Maschinen aus der Textil- und Maschinenbauindustrie haben die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Industriemagazins restauriert. Zwischen 14 und 17 Uhr zeigen und erklären sie Webstuhl, Strickmaschine, Drahtflechtmaschine und die Dampfmaschine aus dem Jahr 1886. (Stündlich auch Führungen, arabischsprachige Dolmetscherin anwesend).

Mehr als 25 Jahre lang wurde die Zahnraddampflokomotive 97 501 aus dem Jahr 1922 restauriert – in gemeinschaftlichem Engagement der Freunde der Zahnradbahn Honau-Lichtenstein, anderer Vereine sowie verschiedener Firmen und der Stadt Reutlingen. Die Lok ist von 14 bis 18 Uhr am Westbahnhof zu bestaunen (Vortrag um 14.30 und 16.30 Uhr, außerdem Bewirtung).

Als „Jugendstil-Juwel“ bezeichnet mancher Kenner die 1910 eingeweihte Dorfkirche Reicheneck – sie ist weitgehend gut erhalten, davon können sich Besucher am Sonntag von 11 bis 18 Uhr überzeugen. Zudem feiert Reicheneck sein 700-jähriges Bestehen mit dem traditionellen Dorffest, der „Sichelhenke“.

Leben in Demut:

Sprechgitter im Kloster

Vom 1252 erstmals erwähnten Pfullinger Klarissenkloster sind heute noch Teile des Langhauses der Klosterkirche mit wertvoller, einzigartiger ornamentaler Wandmalerei, Teile der Umfassungsmauer, ein Fruchtkasten und aus der Barockzeit drei Keller, das Haus des Klosteramtmannes sowie kleinere Zweckbauten erhalten. Die Stadt erwarb das Areal und ließ die Klosterkirche sanieren. 1999 konnte das Sprechgitter ebenfalls erworben und saniert werden. Was es damit auf sich hat, verrät Reinhart Haug um 11 Uhr und um 12.30 Uhr. Das Kloster ist von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Nur zur Führung mit Martin Fink um 16 Uhr geöffnet ist der Luftschutzkeller beim städtischen Kindergarten in Pfullingen (Schulstraße 16).

Info: Weitere aktuelle Infos unter www.reutlingen.de, unter www.tuebingen-info.de und unter www.tag-des-offenen-denkmals.de.

Observatorium. Archivbild: Sommer

Observatorium. Archivbild: Sommer

Hoch hinaus: zur Glocke der Entringer Kirche St. Michael.Archivbild: Faden

Hoch hinaus: zur Glocke der Entringer Kirche St. Michael.Archivbild: Faden

Auch das ein Denkmal: Wellenfreibad Markwasen Bild: Stadtwerke Reutlingen

Auch das ein Denkmal: Wellenfreibad Markwasen Bild: Stadtwerke Reutlingen

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Erstellt:
08.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 48sec
zuletzt aktualisiert: 08.09.2016, 01:00 Uhr

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