Bitcoin-Höhenflug

Der Run aufs digitale Gold

Der Wert der virtuellen Währung ist seit Jahresbeginn um 1500 Prozent gestiegen. Erleben wir gerade die Morgendämmerung einer neuen Finanzordnung?

11.12.2017

Von Igor Steinle (mit dpa)

Die Internetwährung Bitcoin wird von Kritikern als reines Spekulationsobjekt bezeichnet.  Foto: © JoshuaDaniel/Shutterstock.com

Die Internetwährung Bitcoin wird von Kritikern als reines Spekulationsobjekt bezeichnet. Foto: © JoshuaDaniel/Shutterstock.com

Berlin. Als sich Anhänger der Internetwährung Bitcoin jüngst in einer Kneipe in der Berliner Graefestraße versammelten, war die Stimmung euphorisch – Reichtum lag in der Luft. „Ich wäre schon mit zehn Prozent Rendite zufrieden gewesen“, sagte ein Fahrradhändler im Ruhestand, der zu Jahresbeginn 30.000 Euro in Bitcoins investiert hatte. Seither ist der Wert eines Bitcoins um rund 1500 Prozent auf zu diesem Zeitpunkt gut 13.000 Euro gestiegen. Der 65-Jährige ist nun ein wohlhabender Mann.

Seit sich die Schlagzeilen überbieten mit Meldungen über Bitcoin-Millionäre, gefolgt von Abstürzen und immer wieder neuen Rekorden, fragt sich alle Welt: Was hat es auf sich mit Bitcoin? Ist es die Währung der Zukunft oder der Vorbote einer Blase, wie es sie seit der Tulpenmanie im 17. Jahrhundert nicht mehr gab, als eine Tulpenzwiebel so viel kostete wie ein ganzes Haus?

Grafik: SWP

Grafik: SWP

Bitcoin ist eine rein digitale Währung, die auf tausenden Computern digital „errechnet“ wird. Die Anzahl an Bitcoins, die hergestellt werden kann, ist gedeckelt. Der Letzte von maximal 21 Millionen wird erst in mehr als 100 Jahren errechnet werden. Weil die Daten in Rechenprozessen geschürft werden („Mining“), vergleicht sie der US-Hedgefonds-Milliardär Michael Novogratz lieber mit einem Rohstoff: „Bitcoins sind eher Gold als Währung.“ Ihre Knappheit, gepaart mit der Niedrigzinspolitik in Europa und den USA, lässt Anleger auf der ganzen Welt gerade verrückt werden.

Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele warnt Investoren allerdings: „Bitcoin ist kein Geld, sondern ein Spekulationsobjekt.“ Die deutsche Finanzaufsicht Bafin mahnt, Anlegern drohe Totalverlust, US-Starökonom Joseph Stiglitz fordert sogar ein Verbot der Digitalwährung: „Sie erfüllt keinerlei Funktion.“ Anders als bei Aktien oder Rohstoffen steckt hinter Bitcoin nichts als der Glaube der Anleger an die Wertsteigerung der Daten. US-Investmentbanker John Bogle: „Es gibt nichts, das für Bitcoin spricht, außer der Hoffnung, dass man ihn an jemanden für mehr verkaufen kann, als man dafür bezahlt hat.“

Kaum manipulierbar

Dass gerade traditionelle Banker das neue Geld kritisieren, ist kein Wunder. Greift das Konzept des Bitcoins ja gerade ihre Rolle im Geldsystem an: Bitcoin ist die erste Währung, die sich der Kontrolle von Staaten und Banken entzieht. Entstanden ist sie auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 2008. Ein Satoshi Nakamoto, von dem man nicht weiß, ob die Person existiert oder ob sich ein Kollektiv dahinter verbirgt, hat als Reaktion auf den Finanzkollaps das Bitcoin-System erfunden. Es sollte als freies und dezentrales Geldsystem eine Alternative sein zum zentralisierten Finanzsystem, das Regierungen zwang, Banken mit Milliarden Euro an Steuergeld zu retten.

Blockchain („Blockkette“), die Technologie, die Nakamoto dafür entwickelt hat, gilt als revolutionär: In miteinander verketteten Blöcken sind alle jemals getätigten Transaktionen verschlüsselt abgespeichert und öffentlich einsehbar. Da die Datenbank von mehreren tausend Rechnern gleichzeitig verwaltet wird, gilt sie als kaum manipulierbar und transparent. Einen zentralen Vermittler wie Banken, der die Echtheit der Informationen bestätigt, braucht das Netzwerk nicht.

Für Befürworter der Kryptowährungen ist das die Zukunft des Weltwährungssystems. Sebastian Steger von Roland Berger geht davon aus, dass viele Zwischeninstanzen auf lange Sicht „eliminiert“ würden. Sogar IWF-Chefin Christine Lagarde hat kürzlich vorausgesagt, dass binnen 20 Jahren nationale Währungen von Kryptowährungen abgelöst werden könnten.

Tatsächlich legt Bitcoin gerade einen beachtlichen Karriereschritt auf dem Weg in die etablierte Finanzbranche hin: Die Kryptowährung ist bereits offizielles Zahlungsmittel in Japan, seit gestern werden Bitcoins auch auf der Chicagoer Handelsplattform CBOE mit „Future“-Terminkontrakten gehandelt. In einer Woche will der weltweit größte Börsenbetreiber CME folgen.

Allerdings ist damit noch immer nicht sichergestellt, dass es sich bei der Preisexplosion nicht um eine Blase handelt. Novogratz, der auch einen Kryptofonds betreibt, sieht im Hype sogar „die größte Blase aller Zeiten“. Bis sie platzt, könne allerdings noch eine Menge Geld verdient werden. Er erwartet Preissteigerungen auf bis zu 40 000 Dollar.

Insofern macht der Fahrradhändler aus dem Graefekiez alles richtig. Sein Bitcoinvermögen will er verkaufen, sobald das steuerfrei möglich ist. „Das habe ich meiner Frau versprochen.“

Hochkomplexe Mathematik

Die virtuelle Währung Bitcoin ist geheimnisvoll. Sie existiert nur als Algorithmus und hat trotzdem einen realen Wert. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was genau ist Bitcoin? Die digitale Währung ist seit 2009 in Umlauf und wird nicht von Zentralbanken erzeugt, sondern dezentral von vielen Menschen rund um den Globus mit Computern errechnet. Da die mathematischen Aufgaben jedoch immer anspruchsvoller werden, schöpfen fast nur noch professionelle „Miner“ mit einem Netzwerk von Hochleistungsrechnern Bitcoins.

Kann man im Alltag damit zahlen? Es gibt Online-Shops, aber auch erste Restaurants, die das Kryptogeld annehmen. Wegen der überschaubaren Menge an Marktteilnehmern verursachen deren Aktionen jedoch hohe Preisausschläge. Wertänderungen von 20 Prozent an einem Tag sind nicht selten. Für ein Zahlungsmittel eine ungünstige Eigenschaft.

Wie bewahrt man Bitcoins auf? In digitalen Geldbörsen, sogenannten Wallets. Für diese muss man ein 64-stelliges Passwort kennen. Ist es fort, ist auch das Guthaben weg. Das passierte einem 32-jährigen Briten, der eine Festplatte mit einem Code für 7500 Bitcoins versehentlich wegwarf. Weil sie mehr als 100 Millionen Dollar wert sind, will er die Müllhalde umgraben lassen.

Wo kauft und verkauft man sie? An speziellen Börsen im Internet. Dort lassen sich Euro in Bitcoin tauschen. Man muss nicht einen ganzen Bitcoin kaufen: Er kann auf bis zu neun Dezimalzahlen gestückelt werden. Neben Bitcoin existieren auch hunderte andere Digitalwährungen wie Ethereum, Monero oder Ripple.

Warum steigt der Kurs so stark? Ein wesentlicher Grund ist, dass die Cyberdevise bei Anlegern immer beliebter wird. Insbesondere Japan gilt als Hochburg, aber auch in Ländern mit politischen Spannungen wie Venezuela ist der Bitcoin als Alternativwährung stark gefragt. Einen zu sätzlichen Schub hat der Bitcoin erhalten, weil die große US-Terminbörse CME die Einführung eines speziellen Finanzprodukts plant.

Warum ist die Währung umstritten? Da die Teilnehmer anonym bleiben können, kommt das Kryptogeld häufig im Bereich Cyberkriminalität zu Einsatz. So werden viele Opfer von Erpressungstrojanern aufgefordert, das Lösegeld in Form von Bitcoins zu leisten. Auch der DHL-Erpresser fordert Bitcoins. Ein weiterer Nachteil ist die Umweltbelastung durch die digitale Währung. Laut Berechnungen von Digiconomist.com werden für eine einzelne Transaktion 294 Kilowattstunden Strom verbraucht. Das Bitcoin-Netzwerk verbraucht in einem Jahr etwa so viel Strom wie ganz Dänemark.

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Erstellt:
11.12.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 12sec
zuletzt aktualisiert: 11.12.2017, 06:00 Uhr

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