Bewährungsstrafe für Tankstellen-Räuber

Der Räuber, der 2016 eine Mössinger Tankstelle überfiel, erhält milde Strafe – wegen Dilettantismus

Dilettantismus als Minderungsgrund: Mit einer Bewährungsstrafe kam gestern der 55-Jährige davon, der im September 2016 die MTB-Tankstelle in der Mössinger Bahnhofstraße ausgeraubt hatte.

22.08.2017

Von Eike Freese

Symbolbild: liveostockimages - Fotolia

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So entschied das Landgericht Tübingen, das den Fall am Montag in einer flotten Eintages-Verhandlung beendete. Das Gericht sah den Tatbestand des „Schweren Raubes“ zweifelsfrei erfüllt – doch mit so vielen „abers“, dass es klar auf einen „minderschweren Fall“ erkannte (siehe Info-Box).

„Eine Eigenschaft Ihrer Tat“, sagte Richterin Sigrid Höchst gestern zum Täter, „ist ein Dilettantismus, den man so oft nicht antrifft.“ Um seine Sonntags-Kasse aufzubessern, war der Mann am 4. September gleich nach Ladenöffnung mit seinem Rollermobil zur nahen Tankstelle getuckert und hatte sich dort unmaskiert zwischen den Zapfsäulen herumgedrückt. Nachdem die ersten zwei Kunden des Tages fort waren, hatte er sich eine Schirmmütze aufgezogen, eine Sonnenbrille aufgesetzt und war mit einer Pistole zum Tresen getapert. „Sie waren einfach stümperhaft maskiert“, sagte Richterin Höchst: „Und noch dazu waren Sie in der Gegend bekannt.“

Nachdem der Tankstellen-Mitarbeiter dem Mittfünfziger die wenigen Euros gegeben hatte, die in den zwei Minuten Ladenöffnung zusammen gekommen waren, ging der Täter mit einem höflichen „Tschüss!“ zu seiner Rollermobil, knatterte mit dem Geld zur nahen Jet-Tankstelle in Ofterdingen, kaufte Zigaretten, aß im Elternhaus kurz mittag, machte noch einen Abstecher nach Reutlingen ins Bordell – und ließ sich am Nachmittag dann zuhause von der Polizei aufgreifen. Die rund 200 Euro Beute waren zwar verprasst, doch Video-Aufnahmen und Zeugen-Aussagen zur Tat gab es zuhauf. „Ich kann mich nicht erinnern, einmal weniger Aufwand bei der Ermittlung gehabt zu haben“, sagte ein Polizist gestern vor Gericht.

Nichtsdestotrotz, so Staatsanwalt Tobias Freudenberg, sei die Tat als „Schwerer Raub“ zu werten, nicht zuletzt aufgrund der Waffe – und selbst, wenn es eine Schreckschusswaffe war. Indes kam auch der Ankläger schnell zu dem Schluss, dass dieser geruhsame Mittfünfziger mit der Schirmmütze und der Pistole in der Sport-Shorts keinen veritablen Raub im Sinne des Gesetzgebers verübt hatte: „So, wie Sie es gemacht haben, stellt man sich eine Atmosphäre der Todesangst wahrlich nicht vor“, so Freudenberg. Zum ziemlich gelassenen Tankstellen-Mann habe der Mössinger „Ich tu Ihnen auch nichts“ gesagt, sich den Ermittlern später äußerst kompromissbereit gezeigt und sowieso nicht gerade den Eindruck des Bösen gemacht: „Ihre Vermummung beispielsweise war geradezu lächerlich“, so der Staatsanwalt. Verteidiger Hans-Christoph Geprägs stieß ins gleiche Horn und fragte rhetorisch: „Was dachten Sie eigentlich, wieviel Bargeld Sie bekommen in einer Tankstelle – drei Minuten, nachdem sie geöffnet hat?“

Als Motiv machten Gericht, Anklage und Verteidigung Geldmangel fest – aber auch einen offenbar neu entwickelten, obsessiven Lebensstil des Mannes. Der sonst fast Mittellose hatte 2016 über wenige Wochen fast die gesamte Summe einer aufgelösten Lebensversicherung und damit einen Gutteil seiner Ersparnisse verprasst – hauptsächlich wohl in einem Reutlinger Bordell. Abhebungen teils im Tages-Rhythmus ergaben damals die Pleite. In der Nacht vor der Tat, so Richterin Sigrid Höchst, habe sich eine Reutlinger Hure beim damals 54-Jährigen gemeldet. „Deren SMS lautete ‚Ich möchte dich ficken‘“, so Höchst: „Und Sie wollten das auch ganz gerne. Doch ein morgendlicher Kassensturz hatte ergeben: Das könnte knapp werden!“

In der gestrigen Verhandlung entschuldigte sich der Täter spontan beim jungen Tankstellen-Mitarbeiter. Der sagte ebenso spontan: „Entschuldigung angenommen!“

Das Urteil: Bewährungsstrafe und Sozialstunden

Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahre steht auf „Schweren Raub“, wenn also der Täter eine Waffe oder ein anderes Mittel zur Drohung auch nur mit sich führt. Mindestens fünf Jahre gibt es, wenn er Gewalt auch einsetzt. Auch beim „Schweren Raub“ gibt es minderschwere Fälle, wie hier etwa unter anderem aufgrund der Kooperation bei der Aufklärung. Für den aktuellen Tankstellenraub gibt es zwei Jahre, für drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt. Zudem muss der Verurteilte 200 Sozialstunden leisten, die Kosten des Verfahrens tragen und den Wert der Beute zurückgeben.

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Erstellt:
22.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 22.08.2017, 01:00 Uhr

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