Reinhold Hess: Vertrauen ist das A und O

Der Ortsvorsteher von Poltringen betreibt seit 17 Jahren den Kiosk auf dem Reutlinger Marktplatz

Wie immer“, sagt die Seniorin nur. Reinhold Hess reicht die „Bunte“ rüber und wünscht ihr ein schönes Wochenende.

20.06.2017

Von Matthias Reichert

70 Prozent sind Stammkunden: Reinhold Hess in seinem Kiosk auf dem Reutlinger Marktplatz. Bild: Haas

70 Prozent sind Stammkunden: Reinhold Hess in seinem Kiosk auf dem Reutlinger Marktplatz. Bild: Haas

Auf 70 Prozent schätzt er den Anteil seiner Stammkunden im Reutlinger Kiosk auf dem Marktplatz zwischen Rathaus und Kreissparkasse. Die meisten kaufen Zeitungen und Zigaretten, abends nehmen Ältere einmal die Woche noch einen Groschenroman als Nachtlektüre mit.

Der 62-Jährige betreibt den Kiosk seit 17 Jahren. Damals hat er sich auf ein Inserat der Stadtverwaltung gemeldet – und den Zuschlag bekommen. Hess hat den Kiosk von der Stadt gepachtet und führt ihn selbstständig. Auch in Zeiten, in denen immer mehr Kiosks schließen müssen, trägt sich sein Geschäft. Vertrauen sei das A und O: „Die Kunden wissen, was sie an mir haben, und ich weiß, was ich an ihnen habe“, sagt Hess.

Das Vertrauen hat er über Jahre aufgebaut. Ältere reichen ihm beim Bezahlen den Geldbeutel rüber, aus dem er den Betrag abzählt, Rollifahrern steckt er die Zeitung in die Tasche am Gefährt. Er gibt Tipps, wenn die Senioren zu viel Bargeld mit sich herumtragen, ruft den Kunden ein Taxi, beschreibt den Weg.

Wenn wenig los ist, hält er ein Schwätzchen mit den Leuten. „Sie kennen mich“ – in Reutlingen ist er längst eine Institution. „Mein Plus ist, dass ich zu den Leuten freundlich und zuvorkommend bin. Damit sie gut bedient werden und das Gefühl haben, willkommen zu sein“, sagt der 62-Jährige.

„Bei 80 Prozent der Leuten weiß ich schon, was sie wollen“: Jüngere kaufen Zigaretten, Ältere suchen nach Lektüre. Ab und zu hilft ein Bekannter aus, aber die meiste Zeit ist Hess selbst auf dem Marktplatz: Montag bis Freitag von 7 bis 17 Uhr, samstags von 6 bis 14 Uhr. Dann ist am meisten los. Samstags steht die Kundschaft Schlange. Dann fällt das Schwätzchen aus – sonst drehen hinten die ersten Ungeduldigen wieder ab und gehen weiter.

Am Montag und generell an den Vormittagen ist es hingegen ruhig. Vor 11 Uhr sei kaum jemand in der Stadt anzutreffen. Dann kann sich Hess um seinen Nebenjob kümmern: Seit 2004 ist er Ortsvorsteher von Poltringen, zuvor saß er schon seit 1999 im Ortschaftsrat. Wenn im Kiosk gerade Leerlauf ist, vereinbart er telefonisch Termine, vermittelt Poltringer Unterkünfte für Flüchtlinge, gibt gute Ratschläge.

„Das ist ideal, da habe ich Zeit, Überlegungen anzustellen.“ Der Kiosk-Job passe gut zur Kommunalpolitik. Hess bereut seine Entscheidung von vor 17 Jahren bis heute nicht. Er kann einfach mit den Leuten. So plaudert er mit den Reutlingern gerne über die örtliche Sportwelt und die Ratsdebatten, etwa den Stummelsteg an der Stadthalle und was gerade sonst die Gemüter bewegt.

Auch Oberbürgermeisterin Barbara Bosch kommt gelegentlich bei ihm vorbei und macht eine Stippvisite. Poltringer sieht Hess hingegen nur selten in Reutlingen, abgesehen von einigen Bekannten. Denen seien hier mittlerweile die Parkplätze zu teuer. Ähnlich in Tübingen – viele Ammerbucher würden heute lieber nach Rottenburg bummeln gehen, berichtet der Ortsvorsteher.

Er hat auch einen guten Draht zu den Reutlinger Marktbeschickern. Die holen bei ihm die Zeitung und Wechselgeld. Reinhold Hess ist zufrieden mit der Entscheidung, den Kiosk zu übernehmen. „Ich komme ja aus der Lebensmittelbranche.“ Früher war er lange Marktleiter bei Co-Op, anschließend Warenannahmeleiter bei Walmart im Industriegebiet Mark West. Bei so einem Job hätte er heute keine Zeit für die Poltringer Aufgaben, sagt Hess. Er möchte seinen Kiosk weiterbetreiben, bis er in den Ruhestand geht.

Von Kriminalität bisher weitgehend verschont

Vor Einbrüchen, Überfällen und anderen kriminellen Auswüchsen ist Reinhold Hess bislang in seinem Reutlinger Kiosk immer verschont geblieben. Auch Falschgeld habe ihm in 17 Jahren noch niemand andrehen wollen, erzählt der 62-Jährige. Einmal wollte allerdings ein Trickbetrüger einen 200-Euro-Schein bei ihm wechseln und dann mit dem Kleingeld durchbrennen. Der Kiosk-Betreiber alarmierte die Polizei, und die hat den Übeltäter geschnappt.