Landwirtschaft

Der Nachschub ist gesichert

Johann Georg und David Kohler aus Wendelsheim sorgen dafür, dass es für die Feldspritzen von Holder und Vogel & Noot weiter Ersatzteile gibt. Sie beliefern europaweit Großhändler, Werkstätten und Privatkunden.

03.03.2017

Von Hete Henning

Was sitzt denn da am Traktor? Johann Georg Kohler erkennt es sofort: „Es handelt sich um eine Holder-Feldspritze der Baureihe AS, vermutlich die AS4 (400 Liter Behältervolumen) mit einer Leitung der Baureihe SF (10 Meter), so zirka 40 Jahre alt.“ Das Entscheidende für die Landwirte fügt er gleich hinzu: „Die wichtigsten Ersatzteile für Armatur, Pumpe, Düsensystem und so weiter sind alle vorrätig und sofort lieferbar.“ Archivbild: Mozer

Was sitzt denn da am Traktor? Johann Georg Kohler erkennt es sofort: „Es handelt sich um eine Holder-Feldspritze der Baureihe AS, vermutlich die AS4 (400 Liter Behältervolumen) mit einer Leitung der Baureihe SF (10 Meter), so zirka 40 Jahre alt.“ Das Entscheidende für die Landwirte fügt er gleich hinzu: „Die wichtigsten Ersatzteile für Armatur, Pumpe, Düsensystem und so weiter sind alle vorrätig und sofort lieferbar.“ Archivbild: Mozer

Zum 1. 1. 2017 hat die Firma Kohler Ersatzteile mit Sitz in Rottenburg am Neckar die gesamte Ersatzteilversorgung von der in Insolvenz befindlichen Firma Vogel&Noot übernommen. Vogel & Noot Spray Solutions GmbH, Neckartailfingen, übernahm 2008 die Feldspritzen-Sparte der Firma Holder.“ Mit diesen dürren Worten an die Presse beschrieben Johann Georg und David Kohler kürzlich eine unternehmerische Entscheidung, die für viele Landwirte in ganz Europa von großer Bedeutung ist. Wenn sie eine Feldspritze der Marken Holder oder Vogel & Noot fahren und deren Pumpe den Geist aufgibt oder das Gerät wegen undichter Düsen nicht durch den TÜV kommt, müssen sie nicht gleich eine neue Maschine kaufen. Die Ersatzteilversorgung ist gesichert.

Feldspritzen, das sind die langarmigen Apparate, mit denen Landwirte ihre Felder mit Herbiziden und Pestiziden einsprühen und mit denen sie auch Flüssigdünger ausbringen. Je nach Alter und Modell hat das Gestänge eine Spannweite von bis zu 30 Metern. Feldspritzen haben entweder eigene Räder und werden hinterher gezogen, oder sie werden an den Schlepper angebaut. Die Tanks der modernen Maschinen fassen bis zu 7000 Liter Flüssigkeit. So ein großes Gerät kostet locker 50 000 bis 80 000 Euro.

Die Firma Holder hatte in der Landwirtschaft einst einen Ruf wie Donnerhall. 1898, damals noch in Urach ansässig, brachte der Familienbetrieb die erste selbsttätige Rückenspritze auf den Markt – der Obst- oder Weinbauer musste nicht mehr selber pumpen und hatte eine Hand frei. Das Gerät wurde als „Holder-Spritze“ weltberühmt. 1902 zog Holder nach Metzingen um. Zehn Jahre später hatte das Unternehmen bereits über 100 Mitarbeiter, ein Drittel der Produktion ging in den Export. Eine weitere bahnbrechende Entwicklung war 1930 der erste universell einsetzbare Einachstraktor. Mit vielen technischen Raffinessen versehen und als Pflug ebenso geeignet wie als Kartoffelroder, erfreute sich „der Holder“ weithin großer Beliebtheit. Mit der Erfindung der Knick-lenkung gelang Holder 1954 eine weitere Pionierleistung.

„Holder war bis in die achtziger Jahre Marktführer bei den Feldspritzen, also bei der Pflanzenschutztechnik“, sagt Johann Georg Kohler. 1986 geriet das Traditionsunternehmen in Schieflage, konnte sich aber durch ein Vergleichsverfahren retten. Das war der Zeitpunkt, in dem Kohler einstieg. Der damals 30-jährige Diplom-Betriebswirt wurde 1987 Leiter der Abteilung Ersatzteilwesen/Kundendienst/Logistik im Holder-Werk in Metzingen. 2008, zwei Insolvenzen weiter und nachdem Holder abwechselnd in japanischer, deutscher und dann türkischer Hand war, hatte Kohler genug, „da hab’ ich das verlassen“.

Während der Wendelsheimer sich als Ersatzteilhändler für Landmaschinen selbstständig machte, ging die Feldspritzensparte von Holder an den österreichischen Landmaschinenhersteller Vogel & Noot. Produziert wurde in einem als eigenständige GmbH geführten Werk in Neckartailfingen. Als Vogel & Noot im August 2016 Insolvenz anmeldete, ging auch Neckartailfingen den Bach runter.

Das Monopol, ein Riesending

Für die Produktion der Feldspritzen fand sich zwar kein Interessent, wohl aber für alles, was mit Ersatzteilen für die Holder- und Vogel & Noot-Spritzen zu tun hat. Im Bieterverfahren erwarb Johann Georg Kohler das gesamte Ersatzteillager, alle Ersatzteillisten, alle Lieferanten- und alle Kundendaten sowie die Sonderwerkzeuge zur Herstellung der Teile. Damit sicherte er sich das weltweite Ersatzteilmonopol – „ein Riesending“, sagt Kohler mit ziemlicher Gelassenheit.

Das Riesending managen Kohler senior und sein Sohn David im Moment von einem kleinen Büro in der Wendelsheimer Schwabstraße aus. David Kohler ist 27 Jahre alt und hat in Tübingen und Birmingham Politik und Wirtschaftswissenschaft studiert. In der Firma Kohler Ersatzteile ist er für den Vertrieb zuständig. Sein Vater sorgt dafür, dass die Beschaffung rund läuft, und für den Kundendienst in technischen Fragen haben die Kohlers mit Rainer Buchmann einen langjährigen Kundenbetreuer von Holder /Vogel & Noot mit ins Boot geholt.

Zuletzt musste alles sehr schnell gehen. Am 28. Dezember unterzeichnete Kohler senior den Vertrag mit dem Insolvenzverwalter, am 5. Januar musste die Halle in Neckartailfingen leer sein. „Wir haben eine Teil des früheren Maquet-Lagers in Hirrlingen gemietet“, berichtet Kohler junior. Dort in der Loshaldenstraße sollen künftig zwei Teilzeitangestellte den Versand abwickeln. Das Büro im Kohler’schen Wohnhaus soll erweitert und in der Hirrlinger Halle ein Versandbüro eingerichtet werden.

Wie viel er in das Ersatzteilmonopol investiert hat, will Johann Georg Kohler nicht verraten. Aber er lässt sich ein wenig in die Karten blicken: Die Zahl sei sechsstellig, und inklusive Lager und Lieferfahrzeug sei „eine halbe Million schnell zusammen“. Dafür sei aber das Risiko im Prinzip gleich Null. „Es kann niemand seine Holder-Spritze reparieren, wenn er nicht die Teile bei uns gekauft hat“, sagt David Kohler. „Das sind ganz spezifische Teile, die man sonst nirgends kaufen kann“, ergänzt sein 60-jähriger Vater. „Das einzige Risiko ist, wenn ich morgen nicht mehr da bin. Aber ich laufe noch Marathon, ich bin noch topfit.“

David Kohler wollte eigentlich Lehrer werden, aber von der Uni in ein eigenes Unternehmen einzusteigen, sei auch nicht schlecht. Wie früher sein Vater hatte auch er ursprünglich mit der Landwirtschaft nichts am Hut. Inzwischen weiß er: Wenn dem Landwirt seine Feldspritze kaputt geht, kann er nicht wochenlang auf ein Ersatzteil warten. „In der Landwirtschaft muss es schnell gehen“, sagt er, da gelte es günstige Wetterlagen auszunutzen. „In der Saison liefern die Großhändler die Teile per Nachtexpress“, so Kohler junior.

David Kohler ist der betriebswirtschaftliche Denker im Wendelsheimer Ersatzteil-Duo. „Wir bestimmen alleine den Preis und die Absatzmenge unserer Produkte.“ Ohne seinen Vater wäre das Unternehmen allerdings nicht möglich. „Es gibt ganz wenige Personen, die sich bei Holder so im Detail auskennen“, sagt er. „Wir haben 5000 bis 6000 Teile, und bei 90 Prozent davon weiß mein Vater, was es ist und in welchem Lager es sich befindet. Wenn da ein Kunde anruft, kann mein Vater sagen, ob das Teil da ist.“ Gesteuert wird das Ganze über eine Auftragsabwicklungs- und Lagersoftware.

Die Leute sind happy

Die Kunden sind in der Regel Großhändler wie die BayWa oder Werkstätten wie die Firma Wandel in Remmingsheim. Es gibt aber auch ältere Leute, die seit Jahrzehnten mit der selben Feldspritze auf den Acker fahren und kein neues Gerät wollen. „Wenn denen eine Dichtung kaputt geht, hol’ ich die aus dem Lager und steck’ sie in den Briefumschlag“, sagt Johann Georg Kohler. „Das das macht mir richtig Freude, und die Leute sind auch happy.“ Das bringe zwar keinen Gewinn, stimmt er seinem Sohn zu. „Aber es spricht sich rum.“

Für den Senior ist es eine Frage des Prinzips. Neulich habe er ein Teil für eine 70 Jahre alte Urania-Spritze verschickt, ohne Rechnung, denn das Teil hatte einen Wert von gerade mal 2 Euro. Dahinter steckt Leidenschaft. „Es wäre schade um die Geräte, die mich das ganze Berufsleben begleitet haben“, findet er. „Es kann nicht sein, dass man ständig neue Sachen kauft, nur weil ein Teil kaputt ist.“

Doch auch Pflanzenschutzgeräte neueren Baujahrs haben Verschleißteile, die regelmäßig gewechselt werden müssen. Das sind zum Beispiel die Kunststoff-Düsen, die im Winter reißen können und vom aggressiven Flüssigdünger angegriffen werden. Der Düsenkörper, der aus zwölf Einzelteilen besteht, kostet knapp 27 Euro. Eine große Feldspritze, wie sie auf den riesigen Schlägen in Norddeutschland zum Einsatz kommt, hat bis zu 72 Düsen. Das läppert sich.

Für die elektronische Steuerung gibt‘s Tauschgeräte, damit die Maschine von Holder oder Vogel&Noot während der Reparatur nicht nutzlos herumsteht. Auch die Membran am Tropfstopp geht mal kaputt, sagt Kohler junior fröhlich. „Das ist ja das, was wir wollen.“

Sie wollen, dass die Holder-Spritzen noch lange laufen: Johann Georg Kohler, Rainer Buchmann und David Kohler (von links). Bild: Kohler

Sie wollen, dass die Holder-Spritzen noch lange laufen: Johann Georg Kohler, Rainer Buchmann und David Kohler (von links). Bild: Kohler

Das ist ein Düsenkörper. Seine zwölf Einzelteile werden mit zwölf unterschiedlichen Spritzgusswerkzeugen hergestellt. Eine große Feldspritze hat bis zu 72 Düsen, die unter Frost und aggressivem Flüssigdünger leiden. Bild: Kohler

Das ist ein Düsenkörper. Seine zwölf Einzelteile werden mit zwölf unterschiedlichen Spritzgusswerkzeugen hergestellt. Eine große Feldspritze hat bis zu 72 Düsen, die unter Frost und aggressivem Flüssigdünger leiden. Bild: Kohler

Zum Artikel

Erstellt:
03.03.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 48sec
zuletzt aktualisiert: 03.03.2017, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!