Märchenerzähler

Der Hutmacher und die Affen

Charles Aceval begeisterte mit Geschichten aus dem Maghreb.

21.08.2017

Von Dorothee Hermann

Der Erzähler Charles Aceval im Museumsgarten am Neckar.Bild: Faden

Der Erzähler Charles Aceval im Museumsgarten am Neckar.Bild: Faden

Eine gute Geschichte ist so wichtig wie ein gutes Essen, und manchmal vielleicht sogar noch wichtiger: Sie kann helfen durchzuhalten, wenn es nichts mehr zu essen gibt, weiß der algerische Märchenerzähler (Naceur) Charles Aceval. Am Samstagnachmittag im Garten beim Haering-Haus in der Neckarhalde gab es beides: Tübinger mit Fluchterfahrung hatten arabische Spezialitäten vorbereitet. Und Aceval machte die etwa 50 Zuhörerinnen und Zuhörer mit Geschichten aus dem Maghreb bekannt. Überlebenswichtig wurde das Erzählen während des Algerienkriegs, sagte Aceval. „Unsere Mutter hat uns Märchen erzählt, damit wir unseren Hunger vergessen.“ Eingeladen hatten das Stadtmuseum und das Büro Aktiv.

Eines von Acevals Märchen handelte von einem jungen Hutmacher, dessen Eltern schon längst gestorben waren, und der keine Frau und keine Kinder hatte. „Er hätte sich schon eine Frau gewünscht, war aber zu schüchtern“, sagte Aceval. Als wandernder Händler versuchte der Hutmacher, seine Ware zu verkaufen. Er hatte zwölf Hüte bei sich und trug sie alle übereinander auf dem Kopf. Als er unter einem schattigen Mangobaum Rast machte, schlief er ein und träumte, eine Prinzessin und ihre elf Gärtner würden die Hüte kaufen. Doch als er erwachte, war nur noch einer auf seinem Kopf. Die übrigen elf waren verschwunden. Er blickte nach oben und sah, dass elf Affen aus dem Mangobaum die Hüte geklaut und sich aufgesetzt hatten. In der Folge ging es darum, wie der Hutmacher die Affen dazu bringt, die Hüte wieder herzugeben, wie er doch noch eine Frau findet – und wie es seinem Sohn ergeht, als der seinerseits unter dem Mangobaum rastet.

Wer eine Geschichte gehört hat, soll sie nicht einfach abhaken oder in sich verschließen, sondern bekommt eine besondere Verantwortung: „Wer eine Geschichte weiß und sie nicht erzählt, wird von dieser Geschichte bestraft“, heißt es in Acevals Heimat. Ebenso geht es denen, die sie schlecht erzählen, oder denen, die gar nicht zuhören. Denn Geschichten sollen weiterreisen, zu anderen Menschen und durch die Zeiten, am besten durch ganze Jahrhunderte oder Jahrtausende.

Noch etwas sei (nicht nur in arabischen Ländern) so wichtig wie eine gute Geschichte: die Gastfreundschaft, so Aceval: „Bewirte den Hungrigen und den Durstigen. Beschütze den Flüchtling, der Angst hat, und gewähre ihm Gastfreundschaft, vielleicht sogar Asyl.“

In einer weiteren Geschichte soll ein armer Nomade auch noch anderen etwas abgeben: „Es ist nicht leicht, großzügig zu sein, wenn man arm ist“, sagte der Erzähler. Deshalb habe der Nomade seine Frau um Rat gefragt. „Das machen die Nomaden immer, auch wenn man es kaum glaubt“, sagte Aceval mit seinem verschmitzten Lächeln. „Märchen erzählen nur Frauen, und nur abends“, erläuterte er. Es heiße auch, Männer hätten das so festgelegt, damit die Frauen am Tage arbeiteten. Männliche Erzähler konzentrierten sich hingegen auf Helden- oder Weisheitsgeschichten.