Kretschmanns Triumph

Der 67-jährige Grünen-Vormann verweist die CDU auf den zweiten Platz

Erstmals überhaupt werden die Grünen stärkste Kraft in einem Parlament. Die Partei gewinnt viele Prozente und Direktmandate hinzu, verliert aber den Regierungspartner. Bleibt Kretschmann Ministerpräsident?

14.03.2016

Von ROLAND MUSCHEL

Wahlsieger Winfried Kretschmann lässt sich auf der Grünen-Wahlparty feiern, zusammen mit seiner Frau Gerlinde. Foto: dpa

Wahlsieger Winfried Kretschmann lässt sich auf der Grünen-Wahlparty feiern, zusammen mit seiner Frau Gerlinde. Foto: dpa

Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann gegen 18.20 Uhr mit Gattin Gerlinde zur Wahlparty in die Stuttgarter Staatsgalerie kommt, beklatscht die grüne Basis den 67-Jährigen lautstark. Der Applaus der knapp 1000 Besucher will gar nicht mehr abebben. "Ihr habt zu Recht geklatscht", sagt Kretschmann irgendwann, und mit einem Mal wird es still im Saal. "Die Baden-Württemberger haben heute erneut Geschichte geschrieben und die Grünen zur stärksten Kraft im Land gemacht", fährt er fort. Und dann sagt er noch, was alle Parteigrößen an diesem Abend sagen: dass das Wählervotum die Grünen beauftrage, erneut die Regierung und den Ministerpräsidenten zu stellen. Die Grünen wollen sich die Butter nicht noch durch eine ebenfalls mögliche CDU-geführte Regierung vom Brot nehmen lassen

Es ist in der Tat ein historischer Sieg und der Höhepunkt einer schier unglaublichen Entwicklung. 11,7 Prozent bei der Wahl vor zehn Jahren, 24,2 Prozent dann bei der Wahl 2011 und nun auch noch vor der CDU, die über Jahrzehnte das Maß aller politischen Dinge war in Baden-Württemberg.

Vor fünf Jahren hätten noch viele geunkt, dass die Grünen nur infolge des Streits um Stuttgart 21 und der Nuklearkatastrophe von Fukushima an die Macht gekommen seien und das Ganze schnell wieder Geschichte sein werde, sagt der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann. Und nun das, freut er sich über die gegenteilige Entwicklung.

Wem der Erfolg vor allem zu verdanken ist, wissen alle: dem populären Ministerpräsidenten, dem bei einer Direktwahl des Regierungschef sogar eine Mehrheit der CDU-Wähler ihre Stimme gegeben hätte. Mit seiner pragmatischen Politik und seiner wortreichen Unterstützung für den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik hat er die Südwest-Grünen bis weit hinein in konservative Milieus geöffnet.

Die grünen Strategen haben bewusst auf seine Popularität gesetzt und versucht, die Landtagswahl zu einem Plebiszit über den 67-jährigen "Landesvater" zu machen und jedes Plakat jedes Kandidaten mit dem Zusatz "Grün wählen für Kretschmann" versehen. Der Mannheimer Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick, Wortführer des linken Flügels im Landesverband, sagte, neben der hervorragenden Regierungsarbeit habe sich auch die Geschlossenheit der Partei ausgezahlt.

Die Ernte fahren die Grünen nun auch in der Fläche ein. Im Jahr 2011 hatte die Partei ihre neun erstmals gewonnenen Direktmandate vor allem in den Groß- und Unistädten wie Stuttgart, Heidelberg, Karlsruhe und Konstanz geholt. Diesmal kommen nun nicht nur Ulm, sondern auch zahlreiche Wahlkreise in der Fläche hinzu wie Breisgau, Villingen-Schwenningen oder auch Nürtingen, wo Kretschmann selbst ebenfalls das erste Mal Platz eins schaffte. Es ist ein Erfolg wie aus dem Bilderbuch, und doch hat er, bei kleinlicher Betrachtung, auch Schattenseiten.

Die erste ist, dass die Grünen Mühe haben, mit ihrer rasanten Entwicklung zur Volkspartei Schritt zu halten. Sie stellen nur sechs Rathauschefs in einem Flächenland mit seinen 1101 Kommunen. In einem auf einen populären Spitzenkandidaten zugeschnittenen Wahlkampf spielt das keine Rolle. In der Alltagsarbeit schon. Nicht umsonst zählte der Gemeindetag in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode zu den schwierigsten Verhandlungspartnern der grün-roten Regierung.

Mit der SPD fällt nun, das ist der zweite Wermutstropfen an diesem Abend, und fürs Erste derjenige, der mehr ins Gewicht fällt, der gewohnte Koalitionspartner weg. Das Verhältnis zwischen Kretschmann und seinem SPD-Vize-Regierungschef Nils Schmid war nicht einfach. Aber Grüne und Genossen waren aufeinander eingespielt. Doch ausgezahlt hat sich die Koalition nur für die Ökopartei: Sie konnte dem bisherigen Partner jede Menge Stimmen abjagen.

Als stärkste Fraktion können die Grünen den Posten des Landtagspräsidenten beanspruchen. Dafür käme die bisherige Vize-Landtagspräsidentin Brigitte Lösch infrage. Wichtiger sind für die Grünen nun aber die Sondierungsgespräche über die nächste Regierung. Aber nun, sagt Kretschmann am Sonntagabend in der Staatsgalerie, solle sich die Basis erstmals über das furiose Ergebnis freuen. "Wer viel schafft, darf auch feiern. Heute und morgen vielleicht auch noch ein bisschen." Dann müsse man "weiterschaffen", damit Baden-Württemberg bleibe, was es nun schon sei: "schön grün imprägniert".

Direkt in den Landtag

Wahlkreis In seinem Wahlkreis Nürtingen hat Winfried Kretschmann mit 34,9 Prozent der Stimmen erstmals das Direktmandat geholt. Vor fünf Jahren hatte er noch 25,7 Prozent erreicht. Für Thaddäus Kunzmann von der CDU reichte es mit 25,2 Prozent nur noch für Platz zwei. 2011 waren es dagegen 39,7 Prozent und noch Platz eins für die CDU.

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Erstellt:
14.03.2016, 08:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 13sec
zuletzt aktualisiert: 14.03.2016, 08:30 Uhr

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