Allianz gegen Rechtspopulismus gefordert

Debatte über den Rottenburger Kopp-Verlag beim „Kontext“-Podium

Gerechnet hatten die Veranstalter mit 50 Besuchern, doch es kamen über 150 zum Podium der Wochenzeitung „Kontext“. Thema war „Umgang einer Stadt mit rechter Hetze“.

29.06.2017

Von Ulrich Eisele

Auf dem Podium der Stuttgarter Internetzeitung „Kontext“ in der Zehntscheuer (von links): der ehemalige BfH-Stadtrat Albert Bodenmiller, OB Stephan Neher, Moderatorin Anna Hunger, die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid und SPD-Stadtrat Hermann Josef Steur. Bild: Röttgers

Auf dem Podium der Stuttgarter Internetzeitung „Kontext“ in der Zehntscheuer (von links): der ehemalige BfH-Stadtrat Albert Bodenmiller, OB Stephan Neher, Moderatorin Anna Hunger, die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid und SPD-Stadtrat Hermann Josef Steur. Bild: Röttgers

Die Publikums-Zusammensetzung war ungewöhnlich: Rottenburgerinnen und Rottenburger aller politischen Färbungen, Studierende der Fachhochschule, Interessierte von auswärts, Alte und Junge saßen friedlich am Mittwochabend im Hoffmeister-Saal der Zehntscheuer zusammen. Auf der einen Seite überwogen die Angestellten des Kopp-Verlags, auf der anderen die Kritiker. Je nach Tendenz der Statements gab es mal Beifall von der einen Seite, mal von der anderen. Die Spannung war spürbar, doch bis auf einzelne Buhrufe blieb alles friedlich.

Zur Podiumsdiskussion über den „Umgang einer Stadt mit rechter Hetze“ hatte die Stuttgarter Internet-Wochenzeitung „Kontext“ eingeladen. Moderiert wurde sie von Redakteurin Anna Hunger, die mehrere Artikel zum Kopp-Verlag geschrieben hat. Sie habe auch Verleger Jochen Kopp eingeladen, verteidigte sie sich gegen den Vorwurf der Einseitigkeit. Doch kein Fürsprecher des Verlags habe sich aufs Podium setzen wollen.

So blieb diese Rolle Oberbürgermeister Stephan Neher vorbehalten. Er stand als einziger Podiumsteilnehmer zur Entscheidung des Jahres 2011, den Kopp-Verlag in „Siebenlinden III“ anzusiedeln: „Ich würde es wieder genau gleich machen“, sagte er, direkt gefragt.

Moralische Verantwortung

Wie es zu der Ansiedelung kam, schilderte ein „Kritiker der ersten Stunde“: Er habe den Verlag damals noch nicht gekannt, sagte der ehemalige BfH-Stadtrat Albert Bodenmiller, sich erst dann mit dem Verlagsprogramm auseinandergesetzt. Was er entdeckte, habe ihn „erschreckt: Verschwörungstheorien, Hetze gegen Migranten, Geschichtsrevisionismus.“ Er stehe zur Meinungsfreiheit, doch es gehe auch um Moral: „Wir verehren Leute wie Bischof Sproll und Eugen Bolz, da haben wir eine moralische Verantwortung“, meinte er.

Stephan Neher verteidigte den Beschluss: Einem Rottenburger Bürger, der eine Geschäftsidee habe und damit erfolgreich sei, dürfe man keine Steine in den Weg legen. „Natürlich haben wir beim Verfassungsschutz und der Polizei nachgefragt, ob etwas gegen Kopp vorliegt“, berichtete er. „Doch die haben alle verneint.“

Ganz so sei es nicht gewesen, distanzierte sich SPD-Stadtrat Hermann Josef Steur. „Bodenmillers Kritik hat uns schon zu denken gegeben.“ Mit Jochen Kopp habe der Gemeinderat „ein klares, heftiges Gespräch“ geführt, doch der habe überzeugen können: „Nennen Sie mir ein Buch aus meinem Programm, das auf dem Index steht, dann nehme ich es heraus“, habe er damals angeboten. „Wir hatten durchaus Bedenken“, sagte Steur, „doch für uns stand die rechtliche Frage im Vordergrund.“

Warum sie im Landtag eine Anfrage zur Verfassungskonformität des Kopp-Verlages gestellt habe, begründete die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid so: Sie habe dem NSU-Untersuchungsausschuss angehört; dort sei die Frage aufgekommen, „ob wir auf dem rechten Auge blind sind“. Sie habe auch nicht nur nach Kopp allein, sondern generell nach rechtsextremen Verlagen im Kreis Tübingen gefragt und zur Antwort bekommen, der Kopp-Verlag sei „ein Prüffall, aber kein Beobachtungsfall“ – im Gegensatz zum rechtsextremistischen Tübinger Grabert-Verlag und seinem Tochterunternehmen, dem Hohenrain- Verlag.

Stephan Neher versuchte, die Diskussion auf den Rechtspopulismus in den Sozialen Medien auszuweiten. Auch wenn er die Bücher aus dem Kopp-Verlag nicht brauche, sei er doch der Ansicht: „Das muss eine Demokratie aushalten.“

Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, widersprach Hermann Steur, doch sie verpflichte auch zur Verantwortung. Nur mit der Angst der Bürger/innen Politik zu machen, sei verantwortungslos. Um die Gefährlichkeit des verbreiteten Gedankenguts zu demonstrieren, zitierte er aus anonymen Zuschriften auf einen Leserbrief, den er geschrieben habe. Da sei vom „Aufspießen von Politiker-Köpfen auf Zaunlatten“ die Rede gewesen und von Schlimmerem.

Zur Demokratie gehöre der respektvolle Umgang miteinander, mahnte Rita Haller-Haid. „Wenn Freiheit nicht respektiert wird, bin ich als Demokratin gefordert, auf die Einhaltung der Spielregeln zu pochen.“ Albert Bodenmiller ergänzte: Meinungs- und Pressefreiheit ja, aber keine Volksverhetzung. Er sah Parallelen zur Weimarer Republik: „Die ging nicht nur durch Nazis und Kommunisten zugrunde, sondern auch durch Hetzblätter Alfred Hugenbergs.“

Wer zahlt die Angestellten?

Danach war das Publikum an der Reihe: Einer nannte die Veranstaltung eine „Hexenjagd“, kritisierte die Zusammensetzung des Podiums: „Vier gegen einen ist unfair.“ Buhrufe bekam Pfarrerin Regina Fetzer für ihre Ansicht, nicht nur Rottenburg, sondern auch Orte der Umgebung hätten sich Kopps Erweiterungsplänen verweigern müssen. Zwischenruf: „Wer zahlt dann das Gehalt der Angestellten?“

Ein „Handwerker aus Burladingen“ outete sich als „AfD-Anhänger“. Sein Garagentor werde regelmäßig beschmiert, Autoreifen würden ihm zerstochen. Das sei Unrecht, antwortete ihm Rita Haller-Haidt. Aber sie beobachte bei AfD-Mitgliedern auch die Tendenz, sich zu Opfern zu stilisieren.

Gewalt gebe es nicht nur von rechts, sondern auch von links, drang Neher auf Ausgewogenheit, nannte als Beispiel die Zerstörung eines Standes der Jungen Aktiven beim Neckarfest. Eine Frau erinnert darauf an den gewalttätigen Angriff von Neonazis auf einen Infostand. Neher kommentierte: „Das ist in Rottenburg auch nicht schlimmer als irgendwo anders.“

Eine Frau vom Beratungsnetzwerk gegen Rechts sagte, die meisten gewalttätigen Angriffe auf Flüchtlinge seien 2016 nicht von organisierten Neonazis verübt worden, sondern „aus der Mitte der Gesellschaft“. Die gewalttätige Stimmung werde von Büchern wie denen aus dem Kopp-Verlag geschürt. Man müsse „die Zivilgesellschaft stärken“, appellierte sie.

„Das praktiziere ich täglich“, erklärte Stephan Neher. In der Flüchtlings-Frage sei er „anders aufgestellt als der Kollege aus Tübingen“. Er warnte vor Verallgemeinerungen. Es seien immer nur Einzelne, die sich falsch verhielten.

Rita Haller-Haidt stimmte ihm zu. Schützen müsse man aber auch die Presse vor Verunglimpfungen wie „Lügenpresse“, denn dadurch werde die Demokratie untergraben. Hermann Steur forderte allgemein „Respekt vor Anderen – egal ob in der AfD oder CDU“. Parteigenossin Margarete Nohr sah es noch grundsätzlicher: „Wir sollen dem Anderen erst einmal zuhören lernen und ihn als Menschen respektieren.“

Monika Peter erinnerte an die Nachkriegsgeschichte, die zum Frieden verpflichte, und rief dazu auf, Holocaust-Leugnern und Ausländerfeinden entgegenzutreten. Sie bekam viel Beifall.

Nicht unterschätzen

Der Tübinger Rechtsextremismus-Experte Hans Peter Hellermann warnte davor, die Gefährlichkeit einiger Kopp-Autoren zu unterschätzen. Mehrere Artikel seien direkt mit rechtsextremen Webseiten verlinkt – etwa der des „III. Wegs“. Die angestoßene Debatte sei ein Anfang, sie müsse „fort- und weitergeführt werden“, fordert er.

Auf die Schluss-Frage nach Konsequenzen griffen mehrere Redner die Idee einer „Allianz gegen den Rechtspopulismus“ auf. „Die haben wir schon“, meinte Stephan Neher. Rita Haller-Haid forderte „Schulungen“ in Demokratie für Jugendliche, Hermann Steur versprach: „Ich werde immer meine Stimme gegen Rechtspopulismus, für Freiheit und Demokratie erheben.“

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Erstellt:
29.06.2017, 22:48 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 10sec
zuletzt aktualisiert: 29.06.2017, 22:48 Uhr

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f.koch 02.07.201707:47 Uhr

Der Artikel enthält 2 zentrale Aussagen, nämlich dass " der Kopp-Verlag sei „ein Prüffall, aber kein Beobachtungsfall“ und "...nennen sie mir ein Buch, das auf dem Index steht, dann nehme ich es heraus". Damit ist doch alles gesagt, kein Buch, das auf dem Index steht und keine Bedenken seitens des Verfassungsschutzes. Sogar bei der Polizei habe man nachgefragt, ob gegen den Verlag etwas vorliege; auch die haben verneint ! Was also soll diese permanente Hetze gegen den Verlag ? Nur weil der nicht den Vorstellungen einiger, weniger entspricht verbieten ? Das kann es doch wohl nicht sein.
Bodenmiller, Hunger etc, sollten endlich erkennen, dass es eben noch andere Ansichten als die ihren gibt und es noch eine Meinungs- und Pressefreiheit in diesem Land gibt. Veranstaltungen wie diese, die von vornherein unfair und einseitig sind (durch die Auswahl der Teilnehmer), sollten sie sich künftig sparen.

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