Immer wieder vertröstet

Das langjährige Bauprojekt Alte Silcherschule soll nun bald fertig sein

Jahrelang stand ein Gerüst vor der Alten Silcherschule, vor einigen Wochen kam es weg. Das Bauprojekt soll bis Ende Juli fertig sein, verspricht der Bauträger. Das hofft auch die Käuferin einer der 30 Wohnungen, die ihr Haus verkauft hat und nun seit Monaten zur Zwischenmiete wohnt.

11.05.2016

Von Volker Rekittke

Sieht von außen schon recht schmuck aus: die renovierte Fassade der Alten Silcherschule an der Tübinger Kelternstraße.Bild: Rekittke

Sieht von außen schon recht schmuck aus: die renovierte Fassade der Alten Silcherschule an der Tübinger Kelternstraße.Bild: Rekittke

Tübingen. „In meinem Alter ziehe ich durch Tübingen wie eine Heimatlose“, sagt die 73-jährige Käuferin einer Wohnung in der Alten Silcherschule. Anfang 2015 wurde der Kaufvertrag notariell beglaubigt, zusammen mit ihrem Sohn überwies sie seitdem knapp 600 000 Euro für zwei Penthouse-Wohnungen. Weil ihr von den Projektleitern – auch von der Tübinger Thallos AG – ein Einzugstermin spätestens zum 1. Oktober 2015 versprochen worden sei, verkaufte sie ihr Haus in der Weststadt. Dort hatte sie zusammen mit ihrem 2012 verstobenen Mann gelebt.

Etliche tausend Euro zahlte die Frau seit vergangenem Oktober für die Anmietung von Ferienwohnungen, manchmal auch von einem Hotelzimmer, für Bahnreisen zu ihren Kindern in der Schweiz und in Dresden. Ihre gesamten Möbel musste sie zwischenlagern, auch das kostet einiges. Das schlimmste aber seien Stress und Ärger, die fehlende Lebensqualität. Dass sie plötzlich „heimatlos“ geworden ist, schon seit über sieben Monaten aus dem Koffer leben muss. Denn die Fertigstellung ihrer neuen Wohnung verzögerte sich immer wieder.

„Wir mussten in dem alten Haus verzwickte technische Probleme lösen, für alles mussten Sonderlösungen her“, sagt Claus Eberhardt von der Leonberger Doma GmbH. Und die Zusammenarbeit mit einem Trockenbauer klappte nicht. Doma-Immobilien hatte 2014, zwei Jahre nach der Pleite des Stuttgarter Bauträgers Hollenbach, die eigens für das Projekt „Alte Silcherschule“ gegründete City-Wohnen-Tübingen GmbH übernommen. Zunächst gemeinsam mit der Tübinger Thallos AG, die Hollenbach seinerzeit mit dem Verkauf der parzellierten Immobilie beauftragt hatte.

Doch schon kurze Zeit später, im Juli 2014, stieg Thallos wieder aus der City-Wohnen-GmbH aus, so Thallos-Chef Werner Braun gestern auf Nachfrage. Warum? Man habe mit Doma-Immobilien einige gemeinsame Projekte in Angriff genommen, die nur „schleppend“ gelaufen seien. So wie die Alte Silcherschule, das ehemalige Tübinger Raupengymnasium, wie die 1892 erbaute Volksschule liebevoll-spöttisch genannt wurde. Braun kritisiert dort das Baumanagement, sieht „zu wenig Manpower auf der Baustelle“. Tatsächlich waren gestern nur eine Handvoll Handwerker in dem großen Gebäude am Werk. Fehlendes Treppenhaus, Innenausbau, Elektrik – es gibt augenscheinlich noch einiges zu tun.

Allerdings vermittelte Braun mit seiner Thallos AG auch nach seinem Ausstieg aus der City-Wohnen-GmbH noch Wohnungen in der Silcherschule. Der Kaufvertrag für die Penthouse-Wohnung der 73-jährigen Tübingerin etwa datiert von Anfang 2015. „Das Projekt ist aus meiner Sicht durchfinanziert und wird fertiggestellt“, argumentiert Braun: „Wir werden hier keine Bauruine bekommen.“

Auch Doma-Chef Eberhardt verspricht im TAGBLATT-Gespräch eine baldige Fertigstellung. Dieses Wochenende werde das Treppenhaus eingebaut, „ab Ende Juni werden die ersten Wohnungen übergeben“. Die letzten der insgesamt 31 Einheiten, davon ein Fahrradgeschäft, würden im Sommer fertig. Auch die Penthouse-Wohnung der 73-Jährigen: „Die Dame kann Ende Juli einziehen.“

Auf einen baldigen Einzug hofft auch Klaus Greif. „Es schleppt sich so dahin“, sagt der Mitinhaber der Fahrradwerkstatt „Rad und Tat“, die in Laden und Werkstatt im Erdgeschoss ziehen wird. Auch er wurde schon mehrfach vertröstet, Einzugstermine seien immer wieder verschoben worden. „Das ist ja fast wie beim Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie“, spottet Greif. 500 000 Euro hat er vorgeschossen – „das Geld parkt seit Jahren in dem Haus.“

Stimmt schon, sagt Claus Eberhardt. Dennoch sei die Alte Silcherschule für die Wohnungskäufer – überwiegend Investoren, die dort nicht selbst wohnen wollen – „ein gutes Geschäft“. Denn die Tübinger Immobilienpreise stiegen in den vergangenen Jahren stark an. Statt Baupreisen von durchschnittlich 4100 Euro pro Quadratmeter, die noch 2014 fällig wurden, könnte er an gleicher Stelle mittlerweile 4500 bis 4900 Euro verlangen, so Eberhardt. Die Wohnungen würden ständig weiter im Wert steigen.

Das hilft der alten Dame, die von einer Zwischenbleibe zur nächsten ziehen muss, wenig. Sie findet: „Ein Bürgermeister, der in Tübingen leere Wohnungen konfiszieren will, sollte Interesse daran haben, dass die Alte Silcherschule endlich fertig wird.“ Baubürgermeister Cord Soehlke sieht die Stadt nicht in der Pflicht: „Es handelt sich zunächst um Verträge zwischen privaten Partnern – und die haben viele Möglichkeiten, das zu regeln.“ Die Stadt würde erst dann eingreifen, wenn kompletter Stillstand auf der Baustelle herrscht und in Folge gar eine Bauruine droht, so Soehlke: „Das sehe ich derzeit nicht.“

„So sieht es hier schon seit Oktober vergangenen Jahres aus“, sagt die Käuferin einer der zwei Penthouse-Wohnungen in der Alten Silcherschule. Bild: Rekittke

„So sieht es hier schon seit Oktober vergangenen Jahres aus“, sagt die Käuferin einer der zwei Penthouse-Wohnungen in der Alten Silcherschule. Bild: Rekittke

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Erstellt:
11.05.2016, 01:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 11.05.2016, 01:30 Uhr

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