Zwischen den Schauern

Das Ract-Festival war trotz Wetter-Kapriolen zwischendurch gut besucht

Wechselnd einsetzende Regengüsse beeinflussten die Publikumsströme beim Ract-Festival auf dem Gelände neben dem Tübinger Anlagensee. Dennoch waren an beiden Tagen einige Hundert Gäste da.

05.06.2016

Von Michael Sturm

Tübingen. Das Ract-Festival musste zuletzt vor sieben Jahren mit Wassermassen kämpfen. Letztes Jahr gab es eine Unwetterwarnung, aber das Gewitter zog vorüber. An diesem Wochenende gab es sowohl am Freitag als auch am Samstag Schauer – am Ende war das Gelände knöcheltief matschig. Als das Gelände um 15 Uhr für das Publikum geöffnet wurde, habe es nur geschüttet, so Orga-Mitglied Jorinel Domingos: „Nicht mal die Hälfte des Teams hat sich aus den Zelten gewagt.“ Am späten Samstagabend zog ein Festival-Gast im Gespräch mit seiner Begleitung folgendes Fazit: „Die Schuhe werden nicht geputzt – der Dreck läuft sich ab.“

Das Publikum kam und ging an beiden Tagen in Wellenbewegungen. Die Unterführung an der Steinlach wurde zu einem beliebten Aufenthaltsort zum Vorglühen, aber auch zum Unterstehen. Elftklässler vom Carlo-Schmid-Gymnasium warteten dort, mit Austauschschülern im Schlepptau, auf die erste trockene Phase, um das Festival-Gelände zu entern. Sophie Dopslaff freute sich auf Live-Musik, bevorzugt die Pop- und HipHop-Formationen. „Ich finde, man kann auch sehr gut Metal hören“, ergänzte ihre Freundin Leonie Hochgesand mit Hinweis auf das Programm auf der Bühne West.

Drei Stunden Musik waren bereits rum. Der Tübinger Hagen Lefarth bedauerte die Bands, die den Anfang machten. Die hätten alle toll gespielt, „aber vor viel zu wenig Leuten.“ Auf der mittleren Bühne waren Free-Men-Life aus Rottweil die Ersten. Percussionist Simon Rumold war zum halbstündigen Auftritt direkt vom Studienort Chemnitz angereist, „wenigstens haben wir an diesem Wochenende noch zwei weitere Konzerte.“ Ab halb sechs wurde es laut Tanja Krase vom Orga-Team langsam besser: „Da hat sich an unserem Essensstand die erste Schlange gebildet.“ Weil er selbst jahrelang Teil des Organisations-Teams war, forderte der Stuttgarter Stefan Reinhardt seine Freundin auf: „Eigentlich müssen wir jetzt Langos essen.“ Was sie dann auch taten.

Abends nieselte es etwas, aber nicht so, dass das Publikum zur Flucht getrieben worden wäre. Vor der Bühne Mitte sammelte sich ab 20.45 Uhr eine große Menge. Hier trat die große musikalische Überraschung des Abends auf: Die vor zweieinhalb Jahren gegründete reine Frauenband Down to Sky aus Stuttgart, bestehend aus der langjährigen Tübingerin Ramona Gmelin (Schlagzeug), Sohini Sabel (Bass), Marijana Vrdoljak (Gitarre) und Nelli Bosch (Gesang). Sie lieferten melodischen, auf knackige Riffs aufbauenden Alternative-Rock. Die unterschiedlichen Geschmäcker der vier machten das Gemisch so spannend, dass die Zuhörer nicht anders konnten als mitzugrooven oder sich, wie die Albstädter Gruppe um Madeleine Mauz, zu bewegen: „Hüpfen geht immer“, sagte sie und führte es gleich vor: so hoch wie möglich.

Später bot der Sänger der Alternative Rocker Tune Circus sogar an: „Wir haben noch Regenponchos.“ Nur keinen aus der Zuhörerschaft verlieren. Damit hatten die beiden DJ‘s Yello D und Suzi Pink Rocket kein Problem: Vor der Bühne West wogte eine große Menge zu ihrem klassischen HipHop-Mix, worin sie Popmelodien, etwa Lenny Kravitz’ „Fly Away“ einflochten.

Zwei Workshops am Freitag waren gut besucht: Der Refugee Support Potsdam, der über die Lage in den Flüchtlingscamps an der türkischen Grenze informierte, und der Workshop zum Thema Transgender, an den sich eine lange Diskussion anschloss. Ida Wied vom Orga-Team schloss den Bereich um 22 Uhr, deutlich später als geplant. Am Samstag gab es besonders großes Interesse an einem Workshop, in dem es darum ging, in einer Diskussion gut zu argumentieren.

Dann regnete es wieder. Vor den Bühnen dominierten Kapuzen und Regenponchos. Und es gab welche, die original Woodstock-Feeling an den Tag legten: Sie stürzten sich bäuchlings in den Matsch. Spät am Samstagabend noch eine Überraschung – noch um 23 Uhr bildeten Leute, die reinwollten, eine gut 50 Meter lange Schlange.

Am Samstagabend rockte die Band „Stunde Null“ die Bühne auf dem Ract-Festival. Bild: Sommer

Am Samstagabend rockte die Band „Stunde Null“ die Bühne auf dem Ract-Festival. Bild: Sommer

Oberbürgermeister Boris Palmer mit Bier begossen

Tübingens OB Boris Palmer war nur kurz auf dem Gelände: eine Viertelstunde, wie er sagt. Die aber reichte aus, um ihn nass zu machen. Von dem, was passierte, gibt es zwei Versionen: Der „rassistische“ OB sei aus Versehen mit kaltem Kaffee beschüttet worden und habe dann die Angreiferin körperlich angegriffen, heißt es auf der Internet-Seite „linksunten“. Dort steht auch: „Wir befürworten es, wenn Rassist*innen immer wieder und in kurzen Abständen solcherlei blöde Missgeschicke passieren.“ Palmer sagte gegenüber dem TAGBLATT, ein Mädchen habe dafür gesorgt, seinen Weg so zu kreuzen, „dass sie Bier auf mich verschütten konnte.“ Er habe daraufhin versucht, ihr den Becher wegzunehmen, woraufhin sofort jemand dem Mädchen zur Seite gesprungen sei. „Es war ziemlich genau wie vor einem Jahr.“