Mehr als den schnellen Euro

Das Kreis-Jobcenter will Flüchtlinge beim Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützen

Das Jobcenter kann im laufenden Jahr 800 000 Euro mehr für berufliche Eingliederung ausgeben, sagte Geschäftsführerin Ellen Klaiber am Mittwoch im Sozialausschuss des Kreistags. Bis zum Jahresende rechnet sie mit etwa 1300 zusätzlichen Bedarfsgemeinschaften durch Flüchtlinge.

01.07.2016

Von DOROTHEE HERMANN

Tübingen. Die Zahl der Arbeitslosengeld II-Bezieher im Landkreis Tübingen blieb mit 2173 zum Jahresende 2015 gegenüber 2160 im Vorjahr beinahe konstant. „Das größte Problem bleibt die Langzeitarbeitslosigkeit“, sagte Jobcenter-Chefin Ellen Klaiber. 1055 Personen sind betroffen.

Noch immer sei es sehr schwer, Arbeitgeber dafür zu gewinnen, Langzeiterwerbslose einzustellen, bedauerte die Jobcenter-Geschäftsführerin. Das gelte auch dann, wenn das Jobcenter einen Teil der Lohnkosten übernimmt. Für die berufliche Eingliederung stehen heuer 800 000 Euro mehr bereit, sagte Klaiber. Für 2017 rechnet sie mit einer vergleichbaren Finanzausstattung. Sie will Arbeitsmöglichkeiten für Alleinerziehende verstärkt fördern und auch die Beschäftigungschancen für Schwerbehinderte verbessern. Das Gesamtbudget des Jobcenters für das vergangene Jahr umfasste rund 9,7 Millionen Euro.

Die Jobcenter-Chefin listete auch auf, auf welche Altersgruppen sich die Erwerbslosen im Landkreis verteilen: 126 sind jünger als 25 Jahre. Gegenüber dem Jahr 2014 ist das ein geringfügiger Anstieg um 13 Betroffene. Die Zahlen der ALG-II-Bezieher zwischen 25 und 49 Jahren blieben mit 1407 (gegenüber 1405) nahezu konstant. Bei den über 50-Jährigen sieht es ähnlich aus: Statt 642 waren es Ende 2015 noch 640. Die Zahl der alleinerziehenden ALG-II-Bezieher sank geringfügig von 750 auf 740. „Dieser Trend wird sich in diesem Jahr fortsetzen“, sagte sie.

Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften nahm im laufenden Jahr um zirka 150 zu, berichtete Klaiber. Der Grund: Zunehmend sind auch Flüchtlinge berechtigt. „Sie kommen erst dann ins Jobcenter, wenn über ihre Asylanträge positiv entschieden ist.“ Die Geschäftsführerin erwartet deshalb bis zum Jahresende zirka 1300 zusätzliche Bedarfsgemeinschaften. Im November 2015 waren es 244. Mitte Juni 2016 zählte das Jobcenter 758. Die Behörde habe sich organisatorisch darauf eingestellt: „Fünf Mitarbeiter kümmern sich speziell um diesen Personenkreis“, sagte Klaiber. Seit Mai sei ein zweiter arabisch sprechender Kollege an Bord. Diese beiden Mitarbeiter organisieren spezielle „Welcome-Veranstaltungen“: Ratsuchende erfahren dort, wie man einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellt, was „in Deutschland zu beachten ist“ oder wie kann man Integration unterstützen kann. Sie erhalten auch gleich einen ALG-II-Antrag.

„Wir möchten die Potenziale von Flüchtlingen frühzeitig erheben“, so die Geschäftsführerin. „Wir möchten ihnen berufsfachliche und auch sprachliche Kenntnisse vermitteln oder bestehende Kenntnisse erweitern und für den Arbeitsmarkt nutzen.“ Migranten ohne Abschluss will sie zu Fachkräften ausbilden und in den Arbeitsmarkt integrieren. Wo immer es möglich ist auch im Pflegebereich, sagte sie auf eine Nachfrage von Kreisrat Gottfried Gehr (Freie Wähler). „Wir haben jetzt auch die finanziellen Mittel, solche langfristigen Ausbildungsgänge zu fördern“, so Klaiber.

Mit den Berufsschulen hat das Jobcenter ein integratives Ausbildungsmodell gestartet: Teilnehmer, deren Deutschkenntnisse noch nicht perfekt sind, können ausbildungsbegleitend einen Sprachkurs besuchen. In Tübingen gebe es ausreichend Sprachkursplätze, so Klaiber. Die Wartezeit liege im Schnitt bei vier bis maximal fünf Wochen. „Es scheinen Abendkurse zu fehlen“, sagte Grünen-Kreisrat Jürgen Hirning: „Für Flüchtlinge, die vormittags und nachmittags schon arbeiten oder Praktika machen.“

Jugendliche Flüchtlinge bekommen eine besonders auf sie zugeschnittene Beratung: Damit sie nicht nur darauf aus sind, „möglichst rasch den schnellen Euro zu verdienen“, sagte die Jobcenter-Chefin. „Sie machen sich nicht bewusst, das sie mit Hilfstätigkeiten nicht dauerhaft ihre Existenz sichern können.“

Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge im Landkreis kommt aus Syrien: 598 Personen. Es folgen Neubürger aus Afghanistan, Iran, und Irak (92). Mehr als zwei Drittel sind unter 34 Jahre alt.

Rosemann: Arbeitssuchende auch im neuen Job begleiten

Ab sofort können Jobcenter „innovative eigene Projekte umsetzen“, um Erwerbslose weiter zu begleiten, wenn diese wieder einen Arbeitsplatz gefunden haben. Das sagt der Tübinger SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann. Ziel sei „eine nachhaltige Integration in Arbeit“. Gerade um auch Flüchtlinge langfristig zu integrieren, brauchten Jobcenter solche Möglichkeiten, betonte er. Die vor kurzem im Bundestag beschlossenen Vereinfachungen bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende wirkten sich auch auf die Bewilligungszeit von Arbeitslosengeld II aus: Sie verlängert sich von sechs auf zwölf Monate. Die Übernahme von Miet- und Heizkosten werde entbürokratisiert.

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Erstellt:
01.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 59sec
zuletzt aktualisiert: 01.07.2016, 01:00 Uhr

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