Knochenfunde liefern völlig neue Hinweise zur Ausbreitung des frühen Menschen

Das Ende der Eiszeit erledigte die Europäer

Ein Forscher-Team unter Tübinger Leitung fand Hinweise, dass sich Eiszeit-Menschen viel schneller in Europa ausbreiteten als bisher angenommen. "Ich konnte es nicht glauben", sagt der Wissenschaftler.

10.02.2016

Von MADELEINE WEGNER

Knochenfunde wie dieser rund 30 000 Jahre alte Schädel lieferten den Forschern nun spektakuläre Hinweise zur Geschichte der frühen Europäer. Foto: Frouz/MPI

Knochenfunde wie dieser rund 30 000 Jahre alte Schädel lieferten den Forschern nun spektakuläre Hinweise zur Geschichte der frühen Europäer. Foto: Frouz/MPI

Tübingen. Langsam besiedelte der frühe moderne Mensch von Afrika kommend zunächst Asien und später auch Europa: Das war bisher gängige wissenschaftliche Auffassung. Nun haben Wissenschaftler der Universität Tübingen und vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena Skelette und Knochenteile aus verschiedenen Zeitaltern untersucht. Dabei ist es ihnen gelungen, einen bestimmten Teil der DNA zu rekonstruieren. Die Untersuchungen führten zu einem überraschenden Ergebnis: Sie deuten darauf hin, dass Europäer, Asiaten, Amerikaner und Australier Nachfahren einer einzigen Gruppe früher moderner Menschen sind, die sich vor 50 000 Jahren außerhalb Afrikas ausbreitete.

Die frühen, modernen Menschen leben über Jahrtausende als Jäger und Sammler in Europa. Doch Forscher wissen nicht viel über sie: Genetische Daten sind ebenso rar wie das Wissen über ihre Entwicklung. Die Wissenschaftler haben deshalb Knochenreste von 55 Jägern und Sammlern, die vor 35 000 bis 7000 Jahren lebten, genetisch untersucht. Knapp ein Dutzend der Skelettreste stammt aus den eiszeitlichen Höhlen auf der Schwäbischen Alb. Die anderen Knochen wurden in Italien, Belgien, Frankreich, Tschechien und Rumänien gefunden.

Durch die Radio-Karbon-Methode, molekulare und bioinformatische Techniken ist es den Wissenschaftlern unter Leitung des Paläogenetikers Johannes Krause gelungen, die mütterlicherseits vererbte mitochondriale DNA (mtDNA) zu rekonstruieren. Die Analyse dieser alten mtDNA führte zu einem überraschenden Ergebnis: Drei Individuen aus der Zeit vor der Hochphase der letzten Eiszeit gehören einem mtDNA-Typ an, der als Haplogruppe M bezeichnet wird.

"Ich konnte es nicht glauben", sagt der Tübinger Wissenschaftler und Hauptautor der Studie Cosimo Posth. "Das erste Mal, als ich zu diesem Ergebnis gelangte, war ich überzeugt, dass ein Fehler vorliegen muss, denn in heutigen Europäern ist diese Haplogruppe nicht zu finden." In Asien und in den ursprünglichen australischen und amerikanischen Bevölkerungsgruppen hingegen sei diese DNA-Gruppe weit verbreitet.

Zu Beginn des letzten Eiszeitmaximums schrumpfte die Bevölkerungszahl stark, die Jäger und Sammler haben sich auf Südeuropa in Zufluchtsorte zurückgezogen und als es wärmer wurde, sich weiter über Europa ausgebreitet - das vermuten die Wissenschaftler und erklären so, dass die so genannte Haplogruppe M verloren ging.

Die neuen Daten liefern weitere überraschende Ergebnisse. Bisher konnten Forscher lediglich für die Jungsteinzeit und für die Bronzezeit weitreichende Bevölkerungsverschiebungen zeigen. Das Team um Krause und Posth fand durch die neuartigen genetischen Untersuchungen auch Hinweise auf einen bislang unbekannten Wandel der frühen europäischen Bevölkerung.

Am Ende der Eiszeit, vor rund 14 500 Jahren, muss es zu tiefgreifenden Veränderungen gekommen sein. Die Untersuchungsergebnisse wecken den Eindruck, dass die europäischen Jäger und Sammler weitgehend durch eine Bevölkerungsgruppe aus einer anderen mütterlichen Abstammung ersetzt wurden. Das war in einer Zeit, als es wieder sehr viel wärmer wurde.

Mit Hilfe weiterer Analysen wollen die Forscher nun als nächstes herausfinden, woher die Jäger und Sammler kamen, die für diesen drastischen Wandel in der Genetik der frühen Europäer am Ende der Eiszeit sorgten.

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Erstellt:
10.02.2016, 08:30 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 29sec
zuletzt aktualisiert: 10.02.2016, 08:30 Uhr

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