Der Hollywood-Macher

Carl Laemmle aus Laupheim: Vom Büroboten zum Chef der Universal-Filmgesellschaft

Carl Laemmle, 1884 ausgewandert, wurde in den USA zum Millionär. Wer weiß schon, dass der Hollywood-Erfinder aus Oberschwaben kommt?

03.08.2016

Von ALFRED WIEDEMANN

Carl Laemmle. Foto: Museum zur Geschichte

Carl Laemmle. Foto: Museum zur Geschichte

Laupheim.. Filme, Stars, Traumfabrik: Hollywood kennt alle Welt, Laupheim kaum einer. Kleinstadt in Oberschwaben, 20 Autominuten von Ulm. In die Schlagzeile schafft es der Ort immer wieder wegen lauter Krähen im Schlosspark. Und sonst? Unendlich Sterne im Planetarium. Echte Filmstars hat ein Laupheimer gemacht, dazu noch viele, viele Filme und irgendwie sogar ganz Hollywood: Carl Laemmle. Als 17-Jähriger 1884 nach Amerika ausgewandert, gründet der Oberschwabe 1912 die Universal-Filmgesellschaft und öffnet 1915 in Los Angeles Universal-City, das größte Filmstudio der Welt. Vom 17-Minüter „Hiawatha“ ganz am Anfang über „Das Phantom der Oper“ bis zu den bekannten „Dracula“ und „Frankenstein“ – alles Laemmle-Filme, wie fast 10?000 andere auch.

1930 ist er mit einem Oscar geehrt worden, Laemmle hat einen Stern auf dem Hollywood Boulevard. Bald bekommt er eine große Sonderausstellung in Stuttgart: Zu Laemmles 150. Geburtstag im Januar 2017 zeigt das Haus der Geschichte Baden-Württemberg von Dezember an die weltweit erste umfassende Laemmle-Ausstellung. Cornelia Hecht und Rainer Schimpf sind die Kuratoren. Sie sind den Spuren des Hollywood-Erfinders nachgegangen. „Unglaublich spannend“, eine „tolle Aufgabe“, sagt Schimpf.

Laemmles Leben? „Wie eine Märchengeschichte.“ In der Radstraße 9 in Laupheim wohnte die Familie des Kaufmanns Judas Baruch Lämmle. Karl war das zehnte Kind, die meisten Geschwister starben im Kindesalter. Ein Bruder, Joseph, wandert 1873 nach Amerika aus. Karl folgt 1884, nach dem Tod der Mutter. Er hat Kaufmann gelernt und verspricht sich ein besseres Leben in den USA wie Millionen andere deutsche Auswanderer im 19. Jahrhundert. Mit gepumpten 50 Dollar geht es in Bremerhaven auf die „Neckar“. mehr als 800 Passagiere drängen sich auf dem Dampfsegler, zwei Wochen bis New York. Dann Unterschlupf und Jobs bei anderen Migranten, zuerst in Chicago, dann zwölf Jahre in Oshkosh als Buchhalter und später Geschäftsführer einer Textilfirma. 1906 erneut Chicago, Laemmle öffnet sein erstes Nickelodeon. Viele weitere Fünf-Cent-Kinos folgen. Laemmle steigt in Verleih und Produktion von Filmen ein, er gründet die Universal-Filmstudios, beherrscht Werbung, PR und Starrummel wie kein zweiter – und wird 30 Jahre einer der ganz Großen in der neuen Branche bleiben.

Er hat nicht als Tellerwäscher angefangen, vom Büroboten zum Multimillionär ist aber auch nicht schlecht. Mit 39 startet er eine zweite Karriere. Er sieht die Chancen des neuen Bewegtbilds – und macht was aus dem Geschäft. „Sein Schaffen, das Ausmaß seiner Unternehmen, das begeistert“, sagt Schimpf. „Fast 10?000 Filme, das ist eine unglaubliche Leistung, mit 39 nochmals neu anzufangen, auch. Und er setzt sich durch.“ Genauso packend: Laemmles Kraft und Energie, sein Wille, sich anzupassen als Deutschamerikaner. Dazu kommt eine „unglaubliche Treue und Hingabe zu Laupheim“, sagt Schimpf. Immer wieder kommt er zu Besuch in der Heimat, bald als gemachter Mann mit Auto, das er aus den USA mitbringt. Und immer mit offenem Geldbeutel. Er hilft mit Spenden und Stiftung, wo er kann. Auch dann, als er kritisiert wird von den deutschen Rechten, weil der Deutschamerikaner Laemmle patriotische Filme produziert hat nach dem Kriegseintritt der USA 1917.

Laemmle bleibt auch im letzten Kapitel seines Lebens hilfsbereit und zupackend, als die Nazis in Deutschland immer lauter und mächtiger werden. Mit viel Energie, Zeit und auch Geld rettet er hunderte Juden aus seiner alten Heimat. Er, der Millionär, der 1936 seine Filmfirma verkaufen musste, bürgt mit seinem Vermögen für viele, viele Verwandte, Bekannte und Menschen, die darum bitten. Von Laemmle unterschriebene Affidavits, Bürgschaften, ermöglichen Verfolgten die Einreise in die USA, sie retten Leben. Als die US-Konsulate protestieren, weil er so viele Bürgschaften ausstellt, versichert er: sein Geld reiche aus. Und er schaltet Mittelsmänner ein. „Er hat mit seinem großen Netzwerk unermüdlich alles versucht, um Menschen vor den Nazis zu retten“, das zeigten viele Dokumente, sagt Schimpf. Mehr als 300 hat Laemmle gerettet, die genaue Zahl bleibe unbekannt: Affidavits wurden in den USA nicht zentral archiviert.

Laemmle hat die aufziehende Nazi-Gefahr früh erkannt. 1930, als die Universal „Im Westen nichts Neues“ in die Kinos brachte, liefen die Nazis Sturm gegen den Antikriegsfilm nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Laemmle ahnte, was den Juden in einem Nazi-Deutschland drohte. 1934 und 1935 kämpfte er politisch gegen die NS-Anhänger, die in Kalifornien für Hitler und Hakenkreuz agitierten. „Da ist die Forschung noch lange nicht zu Ende“, sagt Schimpf. Der letzte Film, den Laemmle in die USA brachte, war kein eigener, sondern „Bila nemoc“, „Die weiße Krankheit“, ein Film aus der Tschecheslowakei von 1937, der den Hitler-Krieg prophezeite. Drei Wochen nach Hitlers Überfall auf Polen starb Laemmle in Beverly Hills.

In seiner Heimat war er zuletzt nicht mehr erwünscht, unter den Nazis wurde die Erinnerung an Laemmle, viele, viele Jahre ein Wohltäter Laupheims, gründlich ausradiert. Das wirkte sogar weit über 1945 hinaus. Noch 1967, zum 100. Geburtstag, wollte die Stadt nichts von ihrem wichtigsten Sohn wissen, sogar um seine Ehrenbürgerwürde wurde gestritten. Erst in den 1980er Jahren ging auch in Laupheim die Zeit des Totschweigens endgültig zu Ende. Endlich interessierte das Schicksal der früheren jüdischen Nachbarn, wichtig beim Aufarbeiten waren zum Beispiel Ernst Beller mit seinem Film „Carl Laemmle – Der Traumfabrikant“, Ernst Schäll und Udo Bayer („Carl Laemmle und die Universal – Eine transatlantische Biographie“.

Laupheim war einmal die größte jüdische Gemeinde im Königreich Württemberg. Die Nazis löschten die 200 Jahre gemeinsame Geschichte von Christen und Juden in Laupheim aus. Seit 1998 erinnert ein Museum in Laupheim an diese Geschichte. Und natürlich an Carl Laemmle.

„Laemmles Leben und Wirken ist unglaublich spannend“, die Ausstellung in Stuttgart werde „überhaupt nicht verstaubt“, verspricht Kurator Schimpf. Auf die Besucher warte „eine großartige Entdeckung, 50 Jahre deutsch-amerikanische Geschichte in einer Person.“ Ein Leben wie ein Film, ein großartiger Film.

Internetvideos und Ausstellungen

Filme Das Internet bietet wahre Schätze zu Carl Laemmle (17. Januar 1867 in Lapheim, 24. September 1939 in Beverly Hills): Auf Youtube etwa eine kurze Unterhaltung mit Albert Einstein, auf Schwäbisch. Oder, auf Englisch, ein Interview von 2014 mit der 104-jährigen Carla Laemmle. Laemmles Nichte war Tänzerin und Schauspielerin.

Ausstellungen Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart bereitet eine Ausstellung vor: „Carl Laemmle – Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood“ ist ab 9. Dezember 2016 bis zum Sommer 2017 zu sehen. Zu Laemmles 150. Geburtstag zeigt das Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden eine Sonderschau. In der Dauerausstellung ist Laemmle auch präsent. Hinfahren!?aw