Arbeitsvisum

Botschaft lehnte Einreise zu Unrecht ab

Ein in Kusterdingen lebender albanischer Ex-Flüchtling ist doch „unverzüglich“ ausgereist, so das Berliner Verwaltungsgericht.

16.05.2017

Von ede

„Gegen den Staat verliert man fast immer“, so der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer gestern am Telefon. Im Fall des in Kusterdingen lebenden Albaners Jetmir Qerimi, dem die Deutsche Botschaft in Albanien im vergangenen Jahr das Arbeitsvisum verweigerte, weil er „nicht unverzüglich“ ausgereist sei („Vom Stichtag war nie die Rede“, wir berichteten am 6. Mai), ist es nun mal anders gelaufen. Das Berliner Verwaltungsgericht kassierte vergangene Woche die Entscheidung der Botschaft in Tirana. Denn die Verweigerung aus diesem Grund war nicht rechtens, so Rothbauer.

Streitpunkt war das Wörtchen „unverzüglich“ – ohne schuldhaftes Zögern. Wie lange oder wie kurz muss die Frist sein, um noch als „unverzüglich“ gelten zu können? Als der albanische Flüchtling Jetmir Qerimi im Frühjahr 2016 vom Angebot der Bundesregierung erfuhr, per Arbeitsvisum wieder einreisen zu können, wenn er seinen Asylantrag zurücknimmt und eine Wohnung sowie einen Arbeitsplatz vorweisen kann, reiste er am 6. Juni nach Albanien aus.

TAGBLATT-Artikel im Gericht

Doch die Deutsche Botschaft ließ den 33-Jährigen nicht mehr ins Land. Ihr hatte das viel zu lange gedauert, von „unverzüglich“ könne keine Rede sein, wie es die Beschäftigungsverordnung am 24. Oktober 2015 verlange. Die sieben Monate bis zur Ausreise kamen bei ihr nicht gut an. Die Vertreterin des Auswärtigen Amtes, zu dem auch die Botschaften gehören, gestand vor dem Verwaltungsgericht dem Albaner zwei Monate zu, wie Rothbauer sagte – allerdings bezogen auf den 24. Oktober 2015; von dem Tag an gerechnet, als die Verordnung in Kraft trat. Sie plädierte dafür, eine am 31. Dezember 2015 erfolgte Ausreise noch als „unverzüglich“ anzuerkennen. Diese Frist wurde jedoch nirgends bekanntgegeben.

Doch auch bundesdeutsche Behörden-Mühlen mahlen langsam. Bis die neue Beschäftigungsverordnung druckfrisch vorlag, in den Ämtern verteilt und dort angekommen war, mögen wohl auch ein paar Tage vergangen sein, so Rothbauer. Und von Fristen sei bei der hiesigen Ausländerbehörde – wo sich Qerimi stets gemeldet hatte – nie die Rede gewesen.

Gesunder Menschenverstand

Erst am 9. und am 16. Juni 2016 erhielt die Ausländerbehörde im Tübinger Landratsamt eine Frist. Die wurde jedoch zurückdatiert auf den 4. Mai. Wer bis dahin ausgereist sei, dem könne noch eine „unverzügliche Ausreise“ attestiert werden. Doch Qerimi war schon am 6. Juni in Albanien, bekam von der Frist gar nichts mit. Während also das Auswärtige Amt auf den 31. Dezember 2015 pochte, setzte das Bundesinnenministerium den 4. Mai 2016 fest.

Zwei Ministerien, zwei Fristen. „Die Verwaltung aber muss mit einer Stimme sprechen“, so Anwalt Rothbauer. Als der Richter während der Verhandlung am Dienstag den TAGBLATT-Artikel in Rothbauers Aktenmappe sah, habe er ihn an sich genommen, ihn durchgelesen und in Richtung Auswärtiges Amt sinngemäß gesagt: „Da steht ja alles drin. Das mit den Fristen kann ja niemand verstehen.“

Das Gericht neigt wohl auch dem „gesunden Menschenverstand“ zu. Jedenfalls sah es in der am 6. Juni 2016 erfolgten Ausreise kein „schuldhaftes Zögern“ des Albaners. Den Ablehnungsbescheid der Botschaft hat es aufgehoben. Sobald das Urteil mit Begründung schriftlich vorliegt, hat das Auswärtige Amt einen Monat Zeit, um Rechtsmittel einzulegen, sprich den Fall vor das Oberverwaltungsgericht Berlin zu bringen.

Akzeptiert das Auswärtige Amt den Urteilsspruch, muss dann die Deutsche Botschaft in Tirana den Antrag auf ein Arbeitsvisum neu entscheiden, und zwar auf Grundlage des Urteils. Eine schuldhafte Verzögerung der Ausreise kann nun nicht mehr als Begründung einer Ablehnung herhalten.

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Erstellt:
16.05.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 16.05.2017, 01:00 Uhr

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