Zehn Kilo Obst in einer Nacht geklaut

Beerensträucher wurden heuer auf den Härten penibel abgeerntet – allerdings nicht von den Besitzern

Die Beeren in Friedel Nielebocks Garten sind gezupft – Anfang August nichts Ungewöhnliches. Die Arbeit wurde der Immenhäuserin in diesem Sommer allerdings abgenommen. Als sie kürzlich hinterm Haus Johannisbeeren für einen Kuchen holen wollte, sei alles „pieksauber abgeerntet“ gewesen. Sieben Sträucher sind ihr „abhanden gekommen“, wie sie sagt. Zwei Tage zuvor hingen sie noch prallvoll mit roten und schwarzen Träuble.

04.08.2017

Von Christine Laudenbach

Zunächst hatten sie und ihr Mann gehofft, dass sich vielleicht Vögel über ihre Ernte hergemacht hätten. Die müssten dann allerdings sehr gezielt und ungewöhnlich unauffällig vorgegangen sein. Auf dem Boden: „kein einziges Beerle“, sagt Nielebock, alles perfekt sauber. Und: Da in den Nachbargärten immer Betrieb herrsche, könnten sie sich im Grunde nur nachts in die Büsche geschlagen haben.

Leere Büsche auch am Tübinger Galgenberg

Nicht nur bei Nielebocks in Immenhausen gibt es heuer keinen Träubleskuchen. Am Tübinger Galgenberg mussten Gütlebesitzer ihre Tupperdosen wieder leer mit nach Hause nehmen. Marmelade aus Beeren vom heimischen Österberghang wird in diesem Jahr ebenfalls keine gekocht: Die Sträucher seien „regelrecht geplündert“ worden, sagt ein Gartenbesitzer, der anonym bleiben möchte. Vögel schließt er aus. Seine Einschätzung: Es werde mehr geklaut, als in den Jahren zuvor. „Die Leute, die Beerenobst suchen, wissen, wo sie etwas finden.“ Vor rund 16 Jahren, sagt er, hätten sich Förster beschwert, im Wald gebe es keine Pilze mehr. Alles penibel abgegrast. Damals hatte man Aussiedler aus Osteuropa in Verdacht. Sie wussten offenbar nicht, dass hierzulande das gewerbliche Sammeln von Wildpilzen verboten ist. Eine direkte Verbindung zur aktuellen Beerenräuberei will er nicht herstellen. Der Wald, sagt der Tübinger, sei immerhin öffentlicher Grund.

Bei der Polizei ist der Obstklau aktenkundig

Auch bei der Polizei ist der Obstklau aktenkundig: In einer Kleingartenanlage in der Kusterdinger Friedrich-List-Straße wurden in einer Nacht im Juli zehn Kilo Stachelbeeren gestohlen, bestätigt Polizeisprecher Josef Hönes auf Nachfrage. Als Mundraub ginge das nicht mehr durch. Die vorliegende Anzeige wegen Diebstahls sei berechtigt. Machen könne man da allerdings „nicht viel“, sagt der Polizeisprecher und meint: Obstklau „kommt jedes Jahr vor“. Im vergangenen Herbst seien es eher Äpfel gewesen, heuer offenbar Beeren.

Also doch die Vögel? Weniger, sagt Hans Epple vom Kusterdinger Obst- und Gartenbauverein. Sein Träublestock, der in diesem Jahr ganz wunderbar trage, stehe direkt neben einem Vogelhäuschen – völlig unbehelligt. „Das müssen schon Menschen gewesen sein“, ist er überzeugt. Aber wer? Einen konkreten Verdacht hat der Vereinsvorsitzende nicht. Auch er hat von Kollegen gehört, deren Beeren-Ernte diese Saison gestohlen wurde. In diesem Ausmaß sei ihm das bislang noch nie untergekommen. Die Obstbauern treffe es in diesem Jahr dadurch doppelt hart. Da bei dem Kälteeinbruch im April viele Blüten erfroren sind, gebe es ohnehin kaum Früchte. Außer Beeren. Aber vielleicht sei dies ja die Ursache der kreisweiten Diebestouren.

Sind Beerenschälchen auf dem Markt unerschwinglich?

Darüber wird auch am Tübinger Österberg spekuliert. Sind Stachel- und Johanisbeerschälchen in diesem Sommer unerschwinglich? Beziehungsweise, kann mit der über den Zaun geernteten Ware unter Umständen ein gutes Geschäft gemacht werden? Nicht unbedingt, ergibt ein Rundgang über den Wochenmarkt. Bei Obst- und Gemüse Binder kostet das Pfund rote Träuble aus dem Remstal knapp 4 Euro und damit rund 2 Euro mehr, als vergangenen Sommer, so die Auskunft. Auch die Stachelbeeren seien vergleichsweise „hoch im Preis“. Das kann Andreas Kehrer ein paar Stände weiter jedoch nicht unterschreiben. Der Preis liege bei ihm etwa bei 3,20 Euro sagt der Tübinger Gärtner, und damit „vielleicht um 40 Cent höher“ als im vergangenen Jahr. Kehrer holt sein Obst beim Großmarkt. Von Engpässen, sagt er, habe er bislang nichts gemerkt.

Dass in der „totalen Idylle“ Immenhausens so etwas vorkommt, hat Friedel Nielebock sehr bewegt, wie sie sagt. Wer ihr letztendlich die Beeren für den Kuchen geklaut hat, ist offenbar nicht zu klären. Vielleicht hat ja doch der Naturschutzbund die Lösung (siehe „NABU nimmt Vögel in Schutz“).

NABU nimmt Vögel in Schutz

Auch einem Göppinger Gärtner wurden dieses Jahr die Johannisbeersträucher geplündert. „Was ist da los?“, fragte er besorgt beim Mössinger NABU-Vogelschutzzentrum an. „Das Phänomen ist nicht lokal begrenzt“, antwortete dessen Leiter Daniel Schmidt-Rothmund in einer Pressemeldung. Für ihn liegt hier ein klarer Fall von Vogelfraß vor: Auch in Norddeutschland und dem Alten Land bei Hamburg habe es zahlreiche Beschwerden gegeben. Ebenso aus Berlin. Besonders Amseln und Stare seien als Täter ausgemacht worden. Die Ursache sieht man beim NABU (Naturschutzbund) am Frost im Frühjahr: Da es kaum Obst gebe, müssten die Vögel „gar nicht mehr fressen, und es kommt trotzdem schnell zu Beschwerden“, so der Vogelexperte.

Zum Artikel

Erstellt:
04.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 04.08.2017, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!