Dazu verdammt, nichts zu tun

Asyl-Ausschuss fordert Sprachkurse und Ausbildung auch für Geflüchtete, die nicht bleiben dürfen

Weil sich in vielen Fällen die Verfahren in die Länge ziehen, müssen Geflüchtete mit schlechter Bleibeperspektive oft untätig daheimsitzen.

04.08.2017

Von Matthias Reichert

Eine Flüchtlingsunterkunft in Gündringen. Archivbild: fei

Eine Flüchtlingsunterkunft in Gündringen. Archivbild: fei

Viele Geflüchtete kommen nicht aus einem sicheren Herkunftsland, dennoch haben sie schlechte Bleibeperspektiven. Ihre Verfahren ziehen sich, sie wechseln nach zwei Jahren in die Anschlussunterbringung durch Städte und Gemeinden. Laut dem Fachausschuss Asyl der Liga der Freien Wohlfahrtspflege sind im Kreis Reutlingen 900 Flüchtlinge betroffen – laut Wannweils Bürgermeisterin Anette Rösch fast jede/r Zweite in der Anschlussunterbringung.

„Ein großer Teil von ihnen wird dauerhaft hierbleiben“, sagt Wolfgang Grulke vom Asyl-Ausschuss. Er fürchte Ghettoisierung, Probleme mit Kriminalität und Ressentiments in der Bevölkerung. Mit dem ungesicherten Aufenthaltsstatus hätten die Flüchtlinge kaum Chancen auf Sprachkurs oder Ausbildung. „Darunter sind viele junge Männer“, so Rösch. „Die sitzen in der Wohnung rum und dürfen über Jahre nichts machen.“ Sie säßen auf öffentlichen Plätzen, seien in Gruppen unterwegs und oft traumatisiert. Aus Walddorfhäslach fahren sie tagsüber meist nach Reutlingen, ergänzt Bürgermeisterin Silke Höflinger: „Jeder bleibt in seiner Gruppe, das ist das Hauptproblem.“

Der Asyl-Ausschuss fordert ein Einwanderungsgesetz, das es auch Flüchtlingen mit schlechter Bleibeperspektive ermöglicht, Sprachkurse und Ausbildung zu machen. Das gesammelte Wissen könnten sie mit in die Heimat nehmen – laut Rösch wäre das praktizierte Entwicklungshilfe: „Jetzt sind sie dazu verdammt, nichts zu tun.“

Die Liga hat nun zum Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten Michael Donth (CDU) und Beate Müller-Gemmeke (Grüne) geladen. „Wenn wir für diese Menschen keine Perspektiven schaffen, wird uns eines Tages die Realität einholen“, warnt Liga-Vorsitzender und Diakoniechef Günter Klinger.

Das Problem gebe es schon lange, erklärt Müller-Gemmeke. Die Grünen hätten lange eine Stichtags-Regelung für Altfälle in der Duldung gefordert. Zudem tritt die Partei für einen „Spurwechsel“ aus den Asylverfahren in geregelte Einwanderung ein, wenn die Flüchtlinge nach Jahren integriert sind und arbeiten wollen. „Wer hier ist, sollte auch Angebote bekommen“, so Müller-Gemmeke. Doch die mittlerweile eingeräumte Ausbildungs-Duldung sei durch einen Halbsatz, den die CSU durchgesetzt habe, aufgeweicht worden.

Michael Donth sagt, die Asylverfahren seien schon beschleunigt worden. Ein Einwanderungsgesetz „steht jetzt auch bei uns auf der Agenda. Aber das heißt nicht, dass alle kommen können.“ Ein „Spurwechsel“ sei ein „gefährliches Signal“. Womöglich würden das weitere „Wirtschaftsflüchtlinge“ dazu bewegen, nachzukommen, warnt Donth. Doch Ausbildungsmöglichkeiten für die genannte Klientel wolle auch er schaffen – „zumindest für die Zeit, in der sie da sind“.

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Erstellt:
04.08.2017, 20:15 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 11sec
zuletzt aktualisiert: 04.08.2017, 20:15 Uhr

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