Zwischen Bewunderung und Furcht

Als die Franzosen Besatzer in Tübingen waren

Die Historikerin Ann-Kristin Glöckner berichtete über den Alltag in Tübingen während der französischen Besatzungszeit. Uneheliche Kinder wurden in Heime gesteckt.

04.10.2017

Von Andreas Straub

In der Burgholzkaserne – hier im Jahre 1955 – waren die Franzosen stationiert. Bild: Archiv

In der Burgholzkaserne – hier im Jahre 1955 – waren die Franzosen stationiert. Bild: Archiv

Sie begegneten sich mit Ängsten und Vorurteilen, stritten und feierten zusammen, hassten und liebten sich. Deutsche und Franzosen erlebten die Besatzungszeit von 1945 bis 1955 ganz unterschiedlich. Ann-Kristin Glöckner, Doktorandin an der Universität Magdeburg, forscht seit gut zwei Jahren dazu. Am Freitagabend stellte sie erste Ergebnisse am Deutsch-Französischen Kulturinstitut Tübingen vor. Rund 50 Interessierte lauschten ihrem lebendigen Vortrag.

„Während meines deutsch-französischen Masters in Heidelberg und Paris bin ich auf das Thema gestoßen“, sagte die 30-jährige Glöckner. Während die große Politik nach dem Zweiten Weltkrieg gut erforscht sei, gebe es wenig zum Alltag der Menschen. Tübingen sei kaum zerstört worden. Nach Kriegsende lebten hier etwa 33000 Menschen. „Bei den Franzosen herrschte ein Triumphgefühl vor, die Deutschen waren auf einmal ihnen unterlegen“, berichtete Glöckner über die Anfänge.

Auf deutscher Seite seien die Erwartungen unterschiedlich gewesen: Einige idealisierten die Franzosen als Befreier und große Kulturnation, viele hatten Angst vor ihnen. Und die eher negativen Erwartungen seien anfangs erfüllt worden. „Die Versorgung mit Nahrungsmitteln war schlecht und Fabriken wurden demontiert“, sagte Glöckner. Daher spreche die Literatur auch von der „düsteren Franzosenzeit“. Dabei hätten die Franzosen zu einer kulturellen Blüte Tübingens beigetragen, indem zahlreiche Künstler und Schriftsteller in die Stadt kamen und es Theateraufführungen gab. „Ziel der Franzosen war die Demokratisierung, aber auch die Selbstvermarktung als positive Besatzer“, sagte Glöckner.

Das funktionierte allerdings nicht so ganz. Sie zitierte eine Umfrage von 1947, in der nach der Beliebtheit der Besatzer gefragt wurde. Demnach akzeptierten 63 Prozent die Amerikaner, 45 Prozent die Briten, aber nur 4 Prozent die Franzosen und 0 Prozent die Russen. Glöckner vertiefte mit Gewalt, Liebesbeziehungen, Besatzungskindern und Wohnformen vier Themen.

Eine Spezialität der Franzosen war, dass Offiziere häufig in Zimmern bei deutschen Familien lebten, einer Art „Zwangs-WG“. „Dabei entstanden Feindschaften genauso wie Freundschaften“, so Glöckner. Sie habe einige Beispiele von Leuten gefunden, die lange nach der Besatzungszeit noch Kontakt hielten.

Besonders spannend fand sie die „Besatzungskinder“, also ein französischer Soldat als Vater, eine Deutsche als Mutter, weil es dazu fast noch keine Studien gibt. „Der französische Staat zeigte Interesse an diesen Kindern“, erklärte Glöckner. So mussten Jugendämter, Geburtskliniken und Hebammen „verdächtige“ Fälle melden. Die Mütter seien gedrängt worden, ihre Kinder abzugeben. Um die Rechte abzutreten, gab es ein Formular. „Die Kinder kamen aber nicht zur Familie des Vaters, sondern in eigene Kinderheime, wo sie Untersuchungen unterzogen wurden“, sagte Glöckner. Insgesamt seien rund 160 Besatzungskinder, darunter auch einige farbige, 1951 dokumentiert – die Dunkelziffer dürfte weit höher sein.

„Die französischen Soldaten zahlten keinen Unterhalt und hatten keinen Kontakt zu den Kindern“, so Glöckner. Die Mütter seien wegen ihrer „Fraternisierung“ mit dem Feind sehr negativ wahrgenommen worden. Glöckner zitierte ein Schmähgedicht aus jener Zeit: „Der Mann liegt im Soldatengrab, die Frau in Negerbetten. Der Mann gab sich fürs Vaterland, die Frau für Zigaretten.“

Viele Deutsche, so Glöckner, hielten die dunkelhäutigen Kolonialsoldaten für gezielte Politik der Franzosen und „schwarze Schmach“. Dabei zeigte sie an Beispielen von aus Marokko stammenden Soldaten, dass die sich den Deutschen oft näher gefühlt hatten als den Franzosen, weil sie eben auch ausgegrenzt wurden und nicht in der „Siegerposition“ waren. So habe ein Kolonialsoldat einer Familie heimlich Eis spendiert, der Vater gab ihm dafür Klavierstunden.

Ann-Kristin Glöckner

Ann-Kristin Glöckner