Übrigens

Als die Festreden gehalten waren

Werfen wir einen Blick zurück auf den 12. Januar 2012. Es war der Tag, als in Tübingen das bundesweit erste Islamzentrum an einer Universität eröffnet wurde. Selten war ein universitäres Projekt öffentlich so beachtet – und gleichzeitig mit derart vielen Erwartungen beladen. Integration war auch damals schon das Thema, weit vor der Flüchtlingskrise.

19.07.2016

Von Angelika Bachmann

Im Festsaal und auf dessen Galerie war an jenem Tag kein Platz mehr frei. In den ersten Reihen saßen die damalige Wissenschaftsministerin Annette Schavan und ihre baden-württembergische Kollegin Theresia Bauer neben Staatsgästen aus der Türkei und dem Großmufti von Sarajevo, Mustafa Ceric. 400 Besuchern, die sich zu der Gründungsfeier anmelden wollten, musste mangels Platz abgesagt werden. Es sei „der Beginn eines großen Experiments“, schrieb das TAGBLATT damals. Denn in der Tat wusste noch niemand so genau, was aus diesem Islamzentrum werden würde.

Vier Jahre nach der Eröffnung sind die ersten Absolventen des Studiengangs Islamische Theologie auf dem Weg – ja wohin eigentlich? Auf jeden Fall nicht an die Schulen, wo sie dringend gebraucht würden. Zwar wurde in den Festreden immer wieder betont, wie wichtig es sei, Islamlehrer in Deutschland auszubilden. Doch in der Praxis ist genau das für die erste Studentengeneration am Islamzentrum nicht möglich. Zumindest nicht mit ihrem jetzigen Studienabschluss.

Denn in Baden-Württemberg dürfen mittlerweile nur Absolventen eines Lehramtsstudiums als Islamlehrer eingestellt werden. Dieser Studiengang wurde in Tübingen aber erst zwei Jahre später eingerichtet. Deshalb fällt die erste Studierendengeneration am Tübinger Islamzentrum durchs Raster – es sei denn, die Absolventen würden in einem Anschluss-Studium den Pädagogik-Teil nachholen und ein zweites Lehrfach studieren. Zurecht sind die Absolventen darüber frustriert. Der Konstruktionsfehler ist mittlerweile behoben, den Absolventen bringt das leider nichts.

Dem Islamzentrum kann man ansonsten bescheinigen, dass es, nach ersten schwierigen Aufbaujahren und mühsamer Dozentensuche, in der Selbstfindung voranschreitet. Im Gespräch mit dem TAGBLATT berichten Absolventen, sie haben das Studium als offen und inspirierend empfunden. Das Institut in der Rümelinstraße ist ihnen ein Ort der Begegnung geworden, an dem sie die Vielfalt des Islam erleben können. Hier haben Diskussionen über den Koran genauso ihren Platz wie die Anteilnahme am Leid der Bürgerkriegsflüchtlinge: Die soziale Bedeutung der Religion nimmt im Studium eine wichtige Rolle ein.

Hier sehen auch viele Absolventen ihr künftiges Berufsfeld und großen Bedarf gleichermaßen: in der interkulturellen und interreligiösen Arbeit. Sie wollen sich für ein friedliches Zusammenleben der Religionen und Menschen unterschiedlicher Herkunft einsetzen. Die Studenten des Islamzentrums sprechen Arabisch, sie kennen die Probleme und Konflikte muslimischer Jugendlicher und Migrantenkinder. Man müsste meinen, dass die Headhunter der Sozialbehörden bei ihnen Schlange stehen. Dem ist aber nicht so. „Viele Absolventen haben keinen Job“, sagt Harun Akgün, der das Problem auch von befreundeten Kommilitonen in Frankfurt kennt.

Erst jüngst hat eine Emnid-Umfrage ergeben: Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung fühlten sich vom Islam bedroht. „Sehen Sie“, sagt die Studentin Hasnaa Dahabi. „Es gibt viel zu tun.“

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Erstellt:
19.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 19.07.2016, 01:00 Uhr

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