Bastian Schweinsteiger tritt aus der Nationalmannschaft zurück

„Alles hat sich rentiert“

Zwei Jahre nach dem WM-Triumph in Rio und drei Wochen nach dem Aus im EM-Halbfinale tritt Bastian Schweinsteiger aus der Nationalelf zurück.

30.07.2016

Von GEROLD KNEHR

Ihr größter Moment: Bastian Schweinsteiger (l.) mit Joachim Löw nach dem WM-Triumph 2014. Foto: dpa

Ihr größter Moment: Bastian Schweinsteiger (l.) mit Joachim Löw nach dem WM-Triumph 2014. Foto: dpa

München. „Brrrr...“, sagte Bastian Schweinsteiger und schüttelte den grau melierten Kopf, als er nach der 0:2-Niederlage im EM-Halbfinale gegen Frankreich vor drei Wochen endlich müden Schrittes aus der Kabine kam. Es war schon nach Mitternacht, lange hatten die Journalisten in den Katakomben des Marseiller Velodromes auf den DFB-Kapitän gewartet. Zwei Fragen harrten einer Antwort. Die Aktuelle: Warum er den kuriosen Handelfmeter verursacht hatte, der kurz vor der Halbzeit zum 0:1-Rückstand führte? Und die Grundsätzliche: Ob diese Begegnung, seine 120. im Nationaltrikot, möglicherweise seine letztes Spiel für die Nationalmannschaft gewesen sei?

„Brrr...“ also sagte Schweinsteiger und blieb trotz des Drängens des DFB-Mediendirektors, der auf die unmittelbar bevorstehende Abfahrt des Mannschaftsbusses hinwies, stehen. Eine richtige Erklärung für seine in die Höhe geschnellte Hand nach einem Eckball („vielleicht weil der Gedanke sagt, du willst es unbedingt abwehren“) konnte er nicht liefern.

Noch schwerer tat sich „Schweini“ mit der zweiten Frage nach seinem möglicherweise letzten Länderspiel. „Äääh“, hob er an, gefolgt von einer langen, bedeutungsschwangeren Pause. Es schien, als setzte der 31-Jährige zu einer wichtigen Erklärung an, für die er noch die richtigen Worte suchte. „Ich habe versucht, die ganze Energie, die ich habe, in dieses Turnier reinzulegen. Nach den zwei Verletzungen war das nicht so einfach. Ich muss erst das Ausscheiden?“ Der Satz wurde nicht beendet. Der Mediendirektor drängte erneut Richtung Bus. „Ich muss erst mal Abstand gewinnen“, sagte Schweinsteiger im Weggehen.

Drei Wochen und einen Tag hat er schließlich gebraucht bis zu seiner gestrigen Rücktrittserklärung. „Ich habe soeben den Bundestrainer gebeten, mich in Zukunft bei der Nominierung für die Nationalmannschaft nicht mehr zu berücksichtigen“, teilte er gestern in den sozialen Medien der Öffentlichkeit mit. „In 120 Länderspielen durfte ich für mein Land auflaufen und Momente erleben, die unbeschreiblich schön und erfolgreich waren. Jogi Löw wusste, wie viel mir die EM 2016 in Frankreich bedeutet hat, denn ich wollte diesen Titel, der wir seit 1996 nicht mehr nach Deutschland holen konnten, unbedingt gewinnen.“

Vor zwei Jahren in Brasilien hatte Schweinsteiger im Maracana-Stadion von Rio ähnlich lange gebraucht, bis er aus der Kabine kam. Genauso müde und abgekämpft wie in Marseille, aber in einer ganz anderen Stimmungslage. Beim 1:0-Triumph im WM-Finale gegen Argentinien hatten ihm die Gauchos mächtig zugesetzt. Der Gegner versuchte immer wieder, Schweinsteiger mit Tritten, Stößen und Schlägen aus dem Rhythmus zu bringen. Lange hielten die Südamerikaner das Spiel offen, war Schweinsteiger neutralisiert. Doch mit jedem Tritt, jedem gegnerischen Stoß und jeder Behandlung, die der damalige Münchner in Anspruch nehmen musste, kam Schweinsteiger entschlossener und gestärkter zurück. Sein Cut unter dem linken Auge, sein von Blut und Schweiß verschmiertes Gesicht wurden später zum Symbol des vierten deutschen WM-Titels. „Das war ein Kampf. Aber es musste sein“, hatte er in Brasilien selig gelächelt. „Die Beine sind natürlich völlig fertig. Aber alles hat sich rentiert, und der Kopf ist okay“, sagte Schweinsteiger.

In seiner gestrigen Rücktrittserklärung spielte auch der WM-Triumph eine wichtige Rolle. „Mit dem Gewinn des Weltmeistertitels 2014 ist uns historisch und auch emotional etwas gelungen, was sich in meiner Karriere nicht mehr wiederholen lässt. Deshalb ist es richtig und vernünftig, nun Schluss zu machen“, schrieb er gestern.

Im Nachhinein betrachtet scheint es heute, als habe sich der damals 29-Jährige in dieser einen Begegnung völlig aufgerieben. Seither plagte sich Kapitän immer wieder mit Blessuren herum. In Frankreich stieß er nach drei Verletzungen am rechten Knie an seine Grenzen. Phi-lipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker waren am Höhepunkt ihrer Karriere zurückgetreten. Schweinsteiger, dem beim Sommermärchen 2006 der Durchbruch gelungen war und der bei der WM 2010 in Südafrika zu den stärksten Spielern gehörte, hat bis kurz vor seinem 32. Geburtstag an diesem Montag durchgehalten. Sein Rücktritt aus der Nationalmannschaft nach der Europameisterschaft in Frankreich überraschte weder den Bundestrainer noch die Fans.

Privat hat Schweinsteiger die Weichen für einen neuen Lebensabschnitt gestellt. Vor zwei Wochen hat er die serbische Tennisspielerin Ana Ivanovic geheiratet. Seine Zukunft als Vereinsspieler hingegen ist offen (siehe Info).

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Erstellt:
30.07.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 10sec
zuletzt aktualisiert: 30.07.2016, 06:00 Uhr

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