Schatz des Monats

Aeneas verlässt das brennende Troja

In dieser Reihe stellen Mitarbeiter des Universitätsmuseums monatlich die besten Stücke der Dauerausstellung vor – diesmal eine attische Amphore.

13.02.2017

Von Dr. Kathrin B. Zimmer

Aeneas verlässt mit seinem greisen Vater das brennende Troja, attische Halsamphora, um 520/510 v. Chr.Bild: Zachmann

Aeneas verlässt mit seinem greisen Vater das brennende Troja, attische Halsamphora, um 520/510 v. Chr.Bild: Zachmann

Das Bild der Amphora wirkt zunächst irritierend: Ein mit Beinschienen und Brustpanzer gewappneter Krieger schreitet – zwei Lanzen in der Hand, das Schwert in der Scheide – kraftvoll nach rechts aus. Der Helm mit voluminösem Helmbusch verbirgt sein Gesicht vollständig, lediglich Auge und Bartspitze sind zu erkennen. Auf dem Rücken trägt er einen Mann mit langem schlohweißem Haar und Bart. Gerahmt werden beide von symmetrisch angeordneten, vornehm gekleideten Frauenfiguren, die zu den Seiten hin weglaufen.

Das Bild führt uns mitten in den Trojanischen Krieg, in die Nacht, in der die Stadt nach zehn Jahren Belagerung durch die List des Odysseus von den Griechen eingenommen wird. Vergil – nicht Homer – berichtet, wie sich die besten Krieger des griechischen Heeres in einem eigens zu diesem Zweck gezimmerten Holzpferd verbargen, und wie dieses am Strand zurückblieb, während der Rest der Belagerer abzog. In seiner Aeneis – geschrieben im 1. Jh. n. Chr. – schildert er weiterhin, wie die Trojaner das Pferd nach hitzigen Diskussionen, die unter anderem das Leben des Priesters Laokoon und seiner Söhne forderten, in die Stadt brachten. Mitten in der Nacht entstiegen die griechischen Krieger dem Pferd, öffneten die Stadttore und ließen ihre zurückgekehrten Gefährten ein – was folgte, war ein grausames Gemetzel, das den Zorn der Götter auf die Griechen herabzog.

Zentrales Motiv dieser Episode ist jedoch nicht, die Zerstörung Trojas zu schildern, sondern vielmehr einen Neuanfang zu propagieren, der im Untergang dieser Metropole seinen Ursprung hat: Einer der Trojaner entkommt aus der brennenden Stadt. Mit Unterstützung der Götter kann Aeneas zusammen mit seinem greisen Vater Anchises, den er auf seinen Schultern trägt, und seinem kleinen Sohn Askanios aus der brennenden Stadt fliehen.

Er gelangt an Bord eines Schiffes und nach langer Irrfahrt schließlich an eine fremde Küste. Er geht an der Stelle an Land, an der er nach göttlichem Beschluss eine neue Stadt gründen soll – Rom. Die Konstruktion Vergils, die im Auftrag des Augustus Rom auf Troja zurückführt, geht aber noch weiter: Aeneas ist kein gewöhnlicher Mensch, in seinen Adern fließt göttliches Blut, denn der greise Vater, den er auf seinem Rücken trägt, hatte ihn mit keiner geringeren als Venus / Aphrodite gezeugt. Durch diese Konstruktion gelingt es dem Princeps Augustus, dem ersten römischen Kaiser, das Geschlecht der Iulier – und damit auch sich selbst – auf Venus / Aphrodite als Stammmutter zurückzuführen.

Wie die Tübinger Vase zeigt, war bereits lange bevor Augustus den Mythos in dieser Auslegung für seine Propaganda zu nutzen verstand, die Flucht des Aeneas ein fester Bestandteil des trojanischen Sagenkreises und ein beliebtes Bildmotiv.

Die Amphora entstand um 520 / 10 v. Chr. im attischen Raum und zeigt die sogenannte Ilioupersis („Zerstörung Trojas“) in schwarzfiguriger Technik. Dabei werden die Figuren in Schwarz auf den roten Tongrund gesetzt und die feinen Binnenzeichnungen anschließend mit einem spitzen Gegenstand eingeritzt. Hinzu tritt weiße Farbe zur Kennzeichnung von Details wie der Haare des Anchises, die sein hohes Alter zum Ausdruck bringen. Diese Technik unterscheidet zudem Männer und Frauen durch die Hautfarbe: Schwarz für die Männer und weiß für die Frauen. Die Maler griffen damit auf einen real existierenden Unterschied zurück – die vornehmen Frauen hatten durch die Arbeit im Hause eine hellere Hautfarbe als die Männer – und sie überzeichneten diese Differenz, um sie im Bild zur Unterscheidung und Kennzeichnung nutzen zu können.

Die Sammlungen

Das Museum der Universität Tübingen MUT vereint die größte Zahl an Universitätssammlungen im deutschsprachigen Raum. Nach einer Modernisierung zeigt das MUT die Alten Kulturen auf Schloss Hohentübingen auch in neuem Licht. Hier werden derzeit etwa 4000 Objekte von der Urgeschichte bis zur Klassischen Antike präsentiert. In der Reihe „Schatz des Monats“ stellen die Kustodinnen und Kustoden des Schlosses die Highlights der Dauerausstellung vor.

Das Museum der Universität Tübingen MUT | Sammlungen im Schloss Hohentübingen ist mittwochs bis sonntags von 10–17 Uhr und donnerstags von 10–19 Uhr geöffnet. Führungen: 0 70 71 / 29 77 384 oder

www.unimuseum.de.

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Erstellt:
13.02.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 13.02.2017, 01:00 Uhr

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