Viele Studenten machen Karriere trotz Studienabbruchs

15 Prozent der Studierenden verlassen die Hochschule ohne Abschluss

Ein Studienabbruch ist kein Hinderungsgrund für eine Karriere. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Tübinger Soziologin Nicole Tieben. Vor allem Männer machen auch ohne Uni-Abschluss Karriere. Frauen dagegen, so vermutet Tieben, „gehen in die freiwillige Erwerbslosigkeit aufgrund von Erziehungszeiten“.

30.04.2016

Tübingen.

Die Übergänge ins Erwerbsleben verlaufen insgesamt unproblematisch, so das Ergebnis von Tiebens Studie im Graduiertenkolleg LEAD der Universität. Nach einer Orientierungsphase nimmt rund die Hälfte der Studienabbrecher ein weiteres Studium auf. Dieses Zweitstudium wird in den meisten Fällen erfolgreich beendet. Rund ein Viertel der endgültigen Studienabbrecher absolviert eine Berufsausbildung.

Doch selbst diejenigen, die die Hochschule ohne Abschluss verlassen und auch keine Ausbildung anschließen, haben überraschenderweise Aussichten auf einen guten Job. Nur 6,5 Prozent der Studienabbrecher sind fünf Jahre nach der Exmatrikulation arbeitslos. Insgesamt schließen rund drei Viertel aller Studierenden bereits ihr Erststudium erfolgreich ab. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch im „Datenreport 2016“ des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) veröffentlicht.

Abbruchquote ist

deutlich gestiegen

Anhand von Daten aus dem nationalen Bildungspanel hat die Soziologin die Lebens- und Bildungsverläufe von knapp 4500 ehemals Studierenden der Geburtsjahrgänge 1944 bis 1984 untersucht. Danach erreichen 85 Prozent aller Studierenden im Laufe ihres Lebens auch einen Abschluss. Auffallend ist, dass die Abbruchquote des Erststudiums im Verlauf der Jahrzehnte von 16 auf 30 Prozent angestiegen ist. „Über die Gründe kann man nur spekulieren“, sagt Tieben. Zu vermuten sei die schon des Öfteren bemängelte nachlassende Studierfähigkeit, also die Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz der Abiturienten. „Es könnte aber auch daran liegen, dass die Studierenden taktieren, weil sie anhand von Zulassungsbeschränkungen nicht sofort einen Studienplatz in ihrem gewünschten Fach erhalten haben und sich für eine Zwischenlösung entscheiden, um ihr Ziel zu erreichen“, erklärt Tieben.

Eine Ausbildung vor dem Erststudium scheint die Neigung zum Studienabbruch zu verringern. Das könnte daran liegen, dass diese Studierende mit einer vorher abgeschlossenen Berufsausbildung öfter an Fachhochschulen ein berufsbezogenes Studium wählen und in ihrer Entscheidung damit gefestigter sind. Die Abbruchquote im Erststudium ist an Universitäten mit 28,5 Prozent fast doppelt so hoch wie an Fachhochschulen (15,6 Prozent), allerdings treten die Studienabbrecher an der Universität wesentlich häufiger in ein weiteres Studium ein. Die endgültige Abbruchquote an Universitäten liegt bei 16 Prozent, an Fachhochschulen bei 12 Prozent.

Während in den Lebens- und Bildungswissenschaften die Abbrecherquote im Erststudium am geringsten ist (14,5 Prozent), liegt sie bei den Kunst und Humanwissenschaften, den Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie in Mathematik und den Naturwissenschaften mit rund einem Drittel am höchsten. Vor allem bei den jüngeren Jahrgängen ist in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ein sprunghafter Anstieg des Studienabbruchs zu beobachten, ohne dass ein weiteres Studium aufgenommen wird.

Überraschend ist die Tatsache, dass Studienabbrecher, die auch fünf Jahre nach der Exmatrikulation keine formale Qualifikation erworben haben, besonders häufig höhere Dienstpositionen bekleiden. „Das sind vor allem männliche Studienabbrecher“, erklärt Nicole Tieben. „Es könnte daran liegen, dass sie aus männerdominierten Studienfächern wie den Ingenieurswissenschaften oder IT-Studiengängen auch ohne berufliche Qualifikation gute Chancen auf eine Führungsposition haben, oder bereits während des Studiums von den Unternehmen abgeworben wurden.“ Frauen dagegen gehen auch fünf Jahre nach der Exmatrikulation häufiger keiner Erwerbstätigkeit nach. „Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei ihnen um freiwillige Erwerbslosigkeit aufgrund von Erziehungszeiten handelt“, so Nicole Tieben. ST