Rettet die „Klangkörper“!

Instrumentensammlung des Musikwissenschaftlichen Instituts ist in ihrem Bestand bedroht

Der Bestand an historischen Blasinstrumenten an der Tübinger Uni ist eine der bedeutendsten Instrumentensammlungen in ganz Deutschland. Jetzt wird der Leihvertrag gekündigt. Für das Musikwissenschaft wäre der Abzug ein herber Verlust.

13.06.2016

Von Wilhelm Triebold

Hier lässt man sich die Flötentöne gern beibringen: Ein kleiner Teil der Instrumentensammlung im Tübinger Musikwissenschaftliches Institut. Bild: Metz

Hier lässt man sich die Flötentöne gern beibringen: Ein kleiner Teil der Instrumentensammlung im Tübinger Musikwissenschaftliches Institut. Bild: Metz

Tübingen. Im Pfleghof findet man deutliche Worte. „Wenn die Leihgaben abgezogen werden, fehlen zentrale Stücke“, klagt der Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts, Prof. Thomas Schipperges. Der Sammler Karl Ventzke hatte die kostbaren Instrumente, vor allem aus dem 19. Jahrhundert, so zusammengetragen, dass sie sich nicht nur untereinander, sondern auch mit dem vorgefundenen Uni-Bestand bestens ergänzten.

„Wir möchten sie unbedingt halten“, bekräftigt Schipperges. Schon aus praktischen Gründen: Die Organologie, also die Instrumentenkunde als Fachbereich der Musikwissenschaft, lebt von der Anschauung (und der Anhörung) auch seltener Ausprägungen wie dem Heckelphon, dem Basson oder Rarissima-Einzelobjekten wie dem Tarogato oder der Ophikleide.

Teil eines Netzwerks von

Instrumentensammlungen

Gewiss, auch Instrumentenkunde gehört eher zu den Blüten eines sogenannten „Orchideenfachs“, wie selbst die Musikwissenschaft gelegentlich eingeordnet wird. Und doch: Diese Sammlung bildet „einen essentiellen Baustein der deutschlandweit herausragenden Fülle von mehr als 65 Fachkonvoluten und der herausragenden Qualität der wissenschaftlichen Universitätssammlungen in Tübingen“, weiß man sowohl am Institut als auch am Uni-Museum. Denn die Tübinger Sammlung zeige beispielhaft die „stürmische Entwicklung im Instrumentenbau und damit Entstehung und Wandel des modernen Sinfonieorchesters von der Wiener Klassik bis zur Spätromantik, des Klangkörpers also für das im heutigen Konzert- und Opernbetrieb gültige Kernrepertoire.“

155 Holz- und Blechblasinstrumente dokumentieren als „Klangkörper“-Kollektion geradezu lücken-los alle wichtigen – erfolgreiche wie auch wieder verworfene – technischen Entwicklungen im Instrumentenbau des 19. Jahrhunderts. Damit deckt Tübingen das ab, was die Unis in Würzburg für die Tasteninstrumente, in Essen für die elektronischen und in Göttingen für die ethnologischen Instrumente übernehmen dazu kommt die Koordination über das Leipziger Kinsky-Institut für Musikinstrumentenforschung. Schipperges: „Es gibt ein Netzwerk universitärer Musikinstrumentensammlungen.“

Das droht nun in Tübingen gesprengt zu werden. „Die zahlreichen organologischen Aktivitäten des Musikwissenschaftlichen Instituts in Geschichte, Gegenwart und Zukunft stehen und fallen mit dem Erhalt der Sammlung“, heißt es düster in einem Instituts-Papier.

Denn die Familie des 2005 verstorbenen Karl Ventzke kündigt nun auf kommenden Juli den bestehenden Leihvertrag, der zwei Jahre später ausläuft. Bis dahin muss die Tübinger Uni rechtzeitig klarstellen, ob sie von einem Vorverkaufsrecht Gebrauch macht. Schipperges hat aus seiner Sicht konstruktive Gespräche mit der Universitätsleitung und Seidl als Chef des Unimuseums geführt und weiß, dass sich die Uni nun verstärkt um Sponsoren, womöglich auch über den Uni-Bund, bemüht.

Vor rund 65 Jahren stieß Musikliebhaber Ventzke in eine Marktlücke, befeuert von dem ebenfalls auf diesem Terrain aktiven Fabrikanten Josef Zimmermann. Auch wenn Ventzke als Prokurist da wohl ein bisschen sparsamer haushalten musste, kam mit den Jahren eine imposante Kollektion zusammen. Die lagerte dann sogar bei Ventzkes unterm Ehebett („Sehr zum Missvergnügen meiner Frau“, wie sich der Stifter gegenüber dem TAGBLATT vor 16 Jahren erinnerte), bis sich Ventzke Gedanken über eine anderweitige Verwendung seiner Schätze machte. Teils gingen sie ans Württembergische Landesmuseum. Teils jedoch, wiederum unterschieden in Leihgaben und Schenkungen, wanderten sie nach Tübingen. Zum Dank ernannte ihn die Uni zum Ehrendoktor.

An den Signaturen ließen sich die Unterschiede erkennen: Mit einer A-Signatur versehen, gehören die Instrumente nun bereits der Uni, die B-Signatur bezeichnet noch den Leih-Zustand. Die Instrumente sind auch längst, spätestens nach Anmeldung, zu besichtigen: „Der beste Schutz für die Objekte ist“, fand damals schon der Schipperges-Vorgänger Manfred Herrmann Schmid, „dass sie ausgestellt sind“. Gegen die Kündigung von Leihverträgen hilft aber auch das nicht.

Der damalige Direktor des Instituts rühmte den spendablen Stifter Karl Ventzke als einen „forschenden Sammler“. Tatsächlich hatte sich der leidenschaftlich, aber nicht laienhaft forschende Privatgelehrte auch mit einigen Fachpublikationen einen Namen gemacht.

Ventzke selbst sah die Faszination der Holzblasgeräte in der „Technik im Dienste der Kunst“. Es waren vor allem Betriebe und Fabriken in den europäischen Metropolen, die sich hervortaten, wie etwas das Unternehmen des Adolphe Sax, aber auch kleinere Handwerksgeschäfte, sogar im nahen Rottenburg: Das war, hatten Ventzkes Forschungen ergeben, vor gut 130 Jahren mit den Familien Schiele und Steiner ein Zentrum des Blasinstrumente-Baus.

Eine der Schiele-Flöten ist in der Dauerausstellung zu sehen. Es gab zu der Zeit auch im Instrumentenbau einen ungeheuren Facettenreichtum, der inzwischen aber verloren ging: „Das ist“, meinte Schmid damals betrübt, „der Preis der Globalisierung und Uniformierung“, eben auch im Instrumentenwesen.

Doch könne, vermeldete er stolz, „kein öffentliches Museum auf der Welt zeigen“, was seither im Lehr- und Forschungs-Hinterzimmer der Instituts-Bibliothek zu sehen ist. Verarbeitete Holzarten wie Grenadill, Ahorn und Palisander, 33 Querflöten, darunter eine aus Elfenbein, das Heckelphon, das als Sonderanfertigung für die Prager „Salome“-Erstaufführung im Jahr 1906 angefertigt wurde. Überhaupt hat hat Instrumentier-Maestro Richard Strauss dieses Instrument, mit seinem Sound zwischen Englischhorn und Fagott, besonders gern eingesetzt, etwa in der „Alpensinfonie“.

180 000 Euro

sind gefordert

Stattliche 180 000 Euro braucht die Uni, um den Ventzke-Erben den Restbestand endgültig abzukaufen. Ein „Versicherungspreis“, hoch genug: Der frühere Rektor Eberhard Schaich hatte diese Schätzung letztlich akzeptiert (und Ventzke zur Ehrendoktorwürde durch die Fakultät für Altertums- und Kulturwissenschaften verholfen).

Löblich, dass mit dem Tübinger Saxophon Ensemble nun zudem Musiker vom Fach per Benefizkonzert etwas für den Erhalt der Sammlung tun möchten (siehe den Kasten). Natürlich sind auch sonst Spendenbeiträge willkommen. Die Musikwissenschaftlerin Inga Behrendt, die in Tübingen die Sammlung betreut, hatte in einem Beitrag für die letzten „Tübinger Blätter“ bereits Patenschaften angeregt.

Schipperges spricht vom „Alles- oder-nicht-Prinzip“. Leute aus der Sammlerszene hätten schon ein Auge auf manches Einzelstück geworfen. Der Institutsleiter hofft nun inständig, dass die einzigartige „Klangkörper“-Kollektion als eine von nur zwei musikbezogenen Sammlungen (neben den Noten des Schwäbischen Landesmusikarchivs) am Unimuseum MUT erhalten bleibt, deutschlandweit auch mustergültig eingebunden in einen übergeordneten universitären Museumsrahmen.

Forschung, Lehre, Führungen, Vorträge und ein Konzert

Die 155 Instrumente der Sammlung „Klangkörper“ kommen in der musikwissenschaftlichen Lehre zum Einsatz, bei obligatorischen Übungen zur Instrumentenkunde, Seminaren und Vorlesungen. Und als Forschungsgegenstand für Bachelor- und Masterarbeiten. Während des Semesters gibt es regelmäßig Führungen und halbstündige Vorträge zu instrumentenkundlichen Themen jeweils am 2. Samstag des Monats um 11 Uhr. Treffpunkt: im Foyer des 1. Obergeschosses im Musikwissenschaftlichen Institu am Schulberg. Eintritt frei.

Das Tübinger Saxophon Ensemble spielt am kommenden Sonntag, 19. Juni um 17 Uhr im Pfleghofsaal. Es übernimmt dabei offiziell eine Patenschaft für ein Instrument aus der Sammlung „Klangkörper“.

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Erstellt:
13.06.2016, 22:30 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 11sec
zuletzt aktualisiert: 13.06.2016, 22:30 Uhr

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